Montag, 24. März 2008
Mag es auch schneien

So close your eyes
Open your heart
To one who's dreaming of you
You can never hold back spring

- Tom Waits: You can never hold back spring -

An den Frühling kann man ja immer noch glauben, schreibe ich Dir, leichter jedenfalls als an die Liebe.

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Sonntag, 2. März 2008
Schiffsmeldung

54° 26’ N, 18° 33’ O

Sie hatte Schiffskarten bekommen für sich und ihre drei älteren Kinder. Die beiden jüngeren hatte sie schon Wochen zuvor dem Kindermädchen mitgegeben, als sie die junge Frau heim zu ihren Eltern schickte. Deren Vater hatte zuvor angeboten, ein oder zwei Kinder aufzunehmen, zu essen hätten sie dank des eigenen Gartens und der kleinen Landwirtschaft genug. Im November hatte sie sich daher von ihren zwei jüngsten Söhnen getrennt, der eine war gerade einmal sieben Jahre, der andere erst zehn Monate alt.

In wenigen Tagen sollte das Schiff ablegen, das auch sie und die drei älteren Kinder fortbringen sollte aus dem mondänen Seebad. Nach Franken sollte sie gehen, hatte ihr Mann ihr aufgetragen, nicht zu ihrem älteren Bruder nach Bautzen. In Coburg hatte er in früheren Jahren entfernte Verwandtschaft entdeckt, bei ihnen würden sie sich dann wiedertreffen, später, wenn dies alles vorbei wäre.

Unverhofft hatte er Heimaturlaub bekommen, war aus Riga gekommen und wollte nochmals nach der Wohnung sehen. Vielleicht wollte er auch zum Abschied ein letztes Mal auf einem seiner beiden barocken Celli spielen. Er hatte nicht damit gerechnet, dort noch seine Familie vorzufinden, die auf die Passage über die Ostsee wartete. „Nehmt nicht das Schiff“, sagte er und machte stattdessen einen Zug ausfindig, der noch nach Berlin fahren sollte. Sie verschenkte daraufhin ihre Schiffskarten an die Ehefrau eines Zahnarztes, die hatte auch Kinder.

Vier Tage bevor das Schiff in See stach, stiegen sie, ihr Mann und die drei Kinder in einen Güterwaggon. Tagelang war der Zug in eisiger Kälte unterwegs, immer wieder blieb er stundenlang auf offener Strecke stehen. Zum Glück hatte ich eine Wärmflasche mitgenommen, erzählte sie später manchmal. Darin holte ich beim Lokführer immer heißes Wasser. Es lagen so viele erfrorene Kinder neben den Gleisen, sagte sie dann mit trauriger Stimme.

In Berlin verabschiedete sich ihr Mann von ihr, sein Urlaub endete und er musste nach Riga zurück. Sie gelangte mit den drei Kindern tatsächlich nach Coburg, wo sie sich schließlich wiedertrafen: meine Großmutter, mein Großvater und alle fünf Kinder. Das Schiff, das sie damals nicht nahmen, hieß „Wilhelm Gustloff“.

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Sonntag, 24. Februar 2008
Am Krankenbett meiner Mutter
So also wird es später vielleicht einmal sein, dachte ich. So also. Die Operation meiner Mutter war schwer gewesen, und sie kam anfangs nicht wieder zu Kräften. Ganz klein und verloren lag sie in ihrem Bett. In all den Jahren hatte ich meine Mutter noch nie so gesehen, schwach und hilflos. Sie, die immer voller Energie und Tatendrang ist. Und nun entschuldigte sie sich noch fast dafür, wenn sie uns um Hilfe bitten musste. Überaus dankbar für jeden kleinen Handgriff, den wir ihr taten, gar nicht der Rede wert.

So also wird es später vielleicht einmal sein, wenn meine Mutter nicht nur mehr älter, sondern alt geworden ist. Vielleicht werde ich dann wieder Tag für Tag an ihrem Bett sitzen, jedoch ohne die Hoffnung, dass es ihr wieder besser geht. Stattdessen werde ich zuschauen müssen, wie sie immer weniger wird und schließlich stirbt.

Meine Mutter ist jetzt 73. Ihre Mutter starb zwei Tage nach ihrem 88. Geburtstag, ihre Großmutter lebte sogar 95 Jahre. Stets nahm ich an, dass darum auch meine Mutter ein hohes Alter erreicht. Doch selbst wenn - in Wahrheit ist die Zeit, die uns noch bleibt, endlich.

Wie leicht vergesse ich das.

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Sonntag, 18. November 2007
Ich kann Dich noch sehn

Ich kann Dich noch sehn: ein Echo,
ertastbar mit Fühl-
wörtern, am Abschieds-
grat.

Dein Gesicht scheut leise,
wenn es auf einmal
lampenhaft hell wird
in mir, an der Stelle,
wo man am schmerzlichsten Nie sagt.


- Paul Celan -

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Samstag, 10. November 2007
Achtung, müde Papageien!
Vergangene Nacht fuhr ich im Traum in einem Auto einen bewaldeten Berg hinauf. Es war Herbst, das Laub war bunt. Ich saß auf dem Beifahrersitz, der Mann neben mir war mir vertraut, aber wer es war, weiß ich nicht. Die schmale Straße machte viele Kehrtwendungen und an jeder stand ein Verkehrsschild, das ich noch nie gesehen hatte. Auf dem Warndreieck war die giftgrüne Silhouette eines Halsbandsittichs*, darunter stand in schwarzer Schrift: Achtung, müde Papageien!

Schau mal, sagte ich zu dem Mann, die Schilder. Hast Du die schon einmal gesehen? Nein, antwortete er, als wir wieder an einem vorbeikamen. Die müssen neu sein. Eigentlich ganz praktisch, dass sie einen davor warnen, damit man sie nicht überfährt, meinte er dann. Die Papageien setzen sich bestimmt auf die Straße, wenn sie müde sind.

Dann wachte ich auf und fand es sehr schade, dass es dieses Schild nicht gibt. Gerade kommen die ersten Halsbandsittiche vorbeigeflogen, sie sind auf dem Weg zu ihrem Schlafbaum.

* Die Silhouette sah sehr elegant aus, nicht so stümperhaft, wie ich sie ungelenk mit der Maus gemalt habe. Das da ist halt ein sehr müder Halsbandsittich.

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Samstag, 29. September 2007
Und geduldig tragen alle Krankheit

Laudate sia, mio Signore,
per quelli che perdonano
per lo tuo amore
e sostengono infirmitate
e tribulazione.
*
- Le Laudi. Der Sonnengesang des heiligen Franziskus -

Wenn dann das Konzert am frühen Abend zu Ende sein wird, werden meine Mutter und ich zu meinem Auto gehen. Uns beiden wird ein wenig bange sein, denn ich werde sie nicht nach Hause fahren, sondern im Krankenhaus abliefern. Am nächsten Morgen wird sie operiert.

Mitte Juli fingen die Schmerzen an, kurz bevor der Urlaub mit meiner älteren Schwester vorbei war. Meine Mutter ist hart im Nehmen, doch es gab Tage, da konnte sie sich kaum rühren. Spritzen und Schmerztabletten halfen nur bedingt, und auch der schöne Physiotherapeut konnte den Schmerz nicht lindern. Am vergangenen Donnerstag bestätigte sich der Verdacht des Orthopäden, zu dem sie schließlich gegangen war: Meine Mutter hat eine bakterielle Wirbelentzündung. Die Ursache mag eine vor langer Zeit verschleppte Grippe gewesen sein, wer weiß das schon.

Früher behandelte man das mit viel Antibiotika, Gipsbett und Ruhe - doch die Schmerzen würde sie nicht mehr los, sagte ihr der Spezialist. Es könne bis zu einem Jahr dauern, sagte ihr der Orthopäde. Und es würde immer ihre Schwachstelle bleiben. Ein Jahr lang Schmerzmittel und Antibiotika schlucken und obendrein noch immerzu im Bett liegen und nichts machen können, da bekomme ich ja einen Rappel, sagte meine Mutter. Also willigte sie ein in die Operation am kommenden Donnerstag, bei der sie ihr die entzündete Bandscheibe entfernen und mit einem Stück vom Beckenkamm die unteren Lendenwirbel versteifen werden.

Als sie an jenem Nachmittag dann allein zu Hause am Esstisch saß, hat sie geweint. Gestern am Telefon sagte sie mir dann, wie froh sie ist, dass die Ärzte sie noch mit mir in das Konzert gehen lassen. Dann werde ich von der schönen Musik erfüllt in die Klinik gehen. Es wird schon alles gut werden, sagt sie, und macht schon bald darauf wieder Pläne.

Ich bewundere ihre Tapferkeit. Und hoffe im Stillen, dass auch ihr Herz stark genug ist für diese große Operation.


* Dich preisen alle, hoher Meister, / die deine treuen Jünger sind / in verzeihender Liebe /
und geduldig tragen alle Krankheit und / ungemessene Qualen.

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Mittwoch, 19. September 2007
Non vitae, sed scholae discimus
Eigenartig wie einen das Hirn des Nachts nach so langer Zeit ab und an nochmals in die Schule verschleppt und einen zur Latein- oder Chemieklausur schickt. Stets trifft es einen völlig unvorbereitet, alle anderen scheinen vorab Bescheid gewusst zu haben, nur man selbst nicht. Selbstredend stellen sich sofort dieselben Beklemmungen wie früher ein. Es sind auch nie die Fächer, in denen man gut war, jedenfalls bei mir ist das so. Mir fällt dann auch nie ein, dass ich Abitur und Studium schon lange hinter mir habe und deshalb gar nicht mitmachen muss, sondern mein Hirn weckt mich immer gerade noch rechtzeitig, bevor es wirklich losgeht.

Obwohl ich übrigens den Lateinunterricht sogar noch ein halbes Jahr länger durchgehalten habe als für das Große Latinum nötig war, habe ich alles verdrängt. Ich kann heute nicht einmal mehr Grabinschriften übersetzen.

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Montag, 13. August 2007
100 Tage vergingen wie im Flug
Als ich wegfuhr, fürchtete ich insgeheim, ich könnte ihren Abflug verpassen. Wie froh war ich daher, als ich sie in der anderen Stadt auch noch hörte. Sriii, sriii.
Es waren längst nicht so viele Mauersegler wie hier, aber sie waren noch da. Doch als ich heimkehrte, waren sie schon fort, ohne dass ich ihnen ein Lebt wohl hinterher winken konnte.

Die Abende sind jetzt so still und der Himmel so leer. Bis Mai ist's eine lange Zeit.

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Donnerstag, 9. August 2007
Es gibt Abende, an denen muss man sich betrinken
Heute ist so einer. Auf der Suche nach Namen fand ich nur schöne und traurige Geschichten einer unglücklichen Liebe.

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Freitag, 27. Juli 2007
Auf dem Heimweg
Im Nachtbus lasse ich den Tag, der mit einem Lachen begann, Revue passieren. Wie fröhlich wir waren - und garantiert kein bisschen unsichtbar (in einigen, nun ewigen Augenblicken war ich sogar schön wie nie). Viel zu erzählen gab es auch, die Stunden vergingen so rasch. Eben war es doch noch vormittags um elf, und plötzlich ist es halb zwei Uhr in der Nacht. Müde, aber reich beschenkt mit Musik, Bildern und Erinnerungen fahre ich nach Hause.

Frankfurter Tor, ich muss aussteigen. Ich habe es nicht weit, nur ein Stück die düstere Petersburger hoch. Hoffentlich erwische ich keinen Hundehaufen in der Dunkelheit, aber gestern Nacht hat das ja auch gut geklappt. 50 Meter vor mir gehen zwei angetrunkene Typen, ein Dritter mit einem Fahrrad ist auch dabei.
Sie johlen laut, im Dunkeln schallen ihre Stimmen weit. An denen mag ich nicht vorbei gehen, darum passe ich mein Tempo ihrem etwas an. Ich komme an einem älteren Ehepaar vorbei, die gerade von außen einen langen Rollladen herunterlassen. Vielleicht haben die Drei hier getrunken. Ich gehe weiter, die Männer sind nicht mehr zu sehen.

Als ich den großen Platz erreiche, höre ich das Johlen plötzlich wieder, diesmal aber hinter mir. Ich gehe weiter, überquere die erste kleine Straße. Das Johlen wird lauter, die Fahrradbremse quietscht. Ey, ey, tönt es hinter mir. Bloß nicht umdrehen. Mein Ei ist so hart, ruft der eine, die anderen johlen. Schön für Dich, denke ich, dann hast Du ja gleich was morgen zum Frühstück. Ich überquere die nächste Straße, beschleunige meinen Schritt, aber nur etwas. Rennen ist schließlich die Aufforderung, gejagt zu werden. Ohnehin hätte ich dafür die falschen Schuhe an. Das Johlen wird noch lauter, kommt näher. Jetzt weiß ich, dass sie tatsächlich hinter mir her sind. Verdammt, denke ich, das ist mir ja schon lange nicht mehr passiert.

Ich biege in die Straße ein, in der die Freunde wohnen. Ein einsamer Mann kommt mir im Dunkeln entgegen. Würde der mir notfalls helfen? Keine Ahnung, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Und überhaupt, er ist allein, die zu dritt. Den Haustürschlüssel habe ich schon herausgekramt, ich schlängele mich zwischen den Autos durch, wechsele auf die andere Straßenseite. Die drei sind jetzt an der Ecke, vielleicht auch noch näher. Bloß nicht umdrehen. Da, endlich, das Haus. Ich treffe auf Anhieb das Schlüsselloch, witsche durch die Tür, versetze ihr hinter mir einen Stoß. Ich bin noch nicht die drei Schritte zum Lichtschalter in der großen Toreinfahrt gegangen, da sehe ich durch die vielen Scheiben den Fahrradfahrer an der Tür. Er fasst an die Klinke, aber die Tür bleibt zu.

Weil Tage, die mit einem Lachen beginnen, auch gut enden.

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