Mitten im Leben
Vor ein paar Tagen hörte ich im Küchenradio eine Sendung, in der sagte einer sinngemäß, dass jemand mit 35 Jahren schon die erste Hälfte seines Lebens hinter sich hätte. An den Zusammenhang erinnere ich mich jetzt nicht mehr, aber ich weiß, dass ich einen Moment inne hielt und dachte: Was ein seltsamer Gedanke – mit 35 Jahren hat man doch noch nicht Hälfte erreicht … ich jedenfalls nicht. Unbewusst gehe ich wohl davon aus, erst Ende 40 die Lebensmitte erreicht zu haben. Gewiss, mir kann morgen ein Blumentopf auf den Kopf fallen oder ein Laster mich überfahren, aber mit so was rechnet ja niemand, auch ich nicht. Ich habe einfach das Gefühl, ein hohes Alter zu erreichen. Vielleicht, weil meine schlesische Urgroßmutter 95 Jahre alt wurde, und auch meine Großmutter wurde 88, dabei war sie herzkrank. Meine Großtanten väterlicherseits erreichten ein ähnliches Alter, dabei haben die seit ihrer Jugend gequalmt wie die Schlote, übrigens starb keine an den Folgen. Die jüngste von ihnen feierte im Herbst ihren 98. Geburtstag und raucht immer noch. Und da ich vor bald 14 Jahren damit aufgehört habe, sollte ich so was ähnliches ja wohl auch schaffen, jawohl.
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Hey look, no crying
Ich hege eine innige Zuneigung zur Zahl
sechs, daher hatte ich mich auf dieses Jahr gefreut, zumal 2005 so zäh und mühsam war. Doch die
Hoffnung, es werde 2006 besser werden, hatte getrogen: Die vergangenen zwölf Monate waren dazu angetan, einen völlig auszulaugen und den Mut zu nehmen. Mich hat dieses Jahr mürbe gemacht, von Arbeit bis Wohnung kostete mich alles viel Kraft, und nicht alles wendete sich zum Guten. Ganz zu schweigen von den Finanzen, denn von Auto bis Staubsauger ging auch noch vieles kaputt. Dass eine Freundschaft im Frühjahr auf der Strecke blieb, empfand ich dann schon als Erleichterung. Blieb eigentlich nur noch die Gesundheit, und auch da bekam ich noch meine Portion ab, und so beginnt das nächste Jahr für mich mit zwei weiteren Wochen unfreiwilliger Ferien.
Nein, 2006 werde ich gewiss keine Träne hinterher weinen. Und wenn ich mich später einmal daran zurückerinnern werde, dann hoffentlich nur an den warmen Sommer und die Farbe des Meeres und vielleicht noch an den ein oder anderen glücklichen Augenblick.
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Rote Lichter
When the train left the station, it had two lights on behind
When the train left the station, it had two lights on behind
The blue light was my baby and the red light was my mind.
- The Rolling Stones: Love in vain -
Irgendwo zwischen Erfurt und Eisenach sagte es dann zu mir: Den oder keinen.
Wie kannst Du so etwas sagen, rief ich entsetzt aus. In den Augenblick der Stille hinein ratterten die Räder
It’s hard to tell, it’s hard to tell … auf den Schienen.
Radikal und unerbittlich wiederholte es nur: Den oder keinen.
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Nun aber bleiben
Sie ist nicht die Größte unter ihnen, trotzdem nur sehr schwer totzukriegen.
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Selbstekel
Stundenlang im Netz herumzutrödeln, um zwischendurch dauernd Mails abzurufen, in der Hoffnung, die eine ersehnte wäre endlich dabei.
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Not my castle
Und abends dann, als ich mit einem Glas Sekt allein auf dem Balkon stehe, spüre ich, dass ich in anderen Städten mehr zu Hause bin als in meiner eigenen Wohnung. Der fremde Geruch, er will nicht weichen.
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Chapeau (claque)
Er ist einfach zusammengeklappt. Gespürt habe ich es ja, dass da etwas nicht stimmt, aber ich hatte halt gehofft, es wäre vielleicht nicht so schlimm, ließe sich wieder einstellen, wie schon einmal. Ich wollte doch mit ihm
noch zwei Sommer erleben. Nun bleibt uns nicht einmal mehr dieser.
Den toten Zylinder hätte es zu allem anderen jetzt nicht auch noch gebraucht.
Jedenfalls ist mir gerade nicht sehr nach feiern, auch wenn der Kalender das eigentlich anzeigt.
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Birds, Beasts and Flowers
Die Gärten meiner Kindheit waren so groß, dass meine Mutter immer einen Teil verwildern ließ. "Wüste Gobi" nannte sie das Stück rechts neben dem Haus, in dem wir von meinem siebten bis zu meinem 18. Lebensjahr wohnten. Ein alter Birnbaum der Sorte "Gute Luise" stand in der Wüste Gobi, so unerreichbar hoch, dass im Herbst alle Früchte immer jenseits der hohen Mauer auf die Straße klatschten. Im Frühling wuchsen auf der Wiese aberhundert Schneeglöckchen, so viele, dass wir Kinder uns immer dicke Sträuße pflücken durften. Am Ende der Wüste standen ein paar blühende Sträucher und eine kleine, japanische Zierkirsche.
Dort beerdigten meine jüngere Schwester und ich nicht nur den ein oder anderen ihrer verstorbenen Hamster, sorgsam eingewickelt in weiche Papierservietten und dann in zart duftende Seifenschachteln gebettet, die wir von unserer Mutter erbaten. Auch alle toten Vögel, die wir fanden, begruben wir dort. Bei denen, die aus dem Nest gefallen waren als sie noch nackt und blind waren, kostete es immer etwas Überwindung, sie mit einem Papiertaschentuch aufzuheben, aber so lange sich noch nicht diese winzigen, scharlachroten Krabbelviecher an die toten Vögel herangemacht hatten, bekamen wir das schon hin. Meistens waren wir ohnehin eher da.
Mit der Seifenschachtel gingen wir dann in die Wüste Gobi, hoben das nächste Grab aus und legten den Vogel zur Ruhe. Die Umrandung des Grabhügels verzierten wir mit Kieselsteinen und kennzeichneten ihn, indem wir ein kleines Kreuz aus Ästchen darauf stellten.
Stets gab uns unsere Mutter ihre Seifenschachteln, und wenn sie keine mehr hatte, suchte sie mit uns andere Schachteln, die als Sarg taugten. Schließlich hatte sie als Flüchtlingskind in
jenem Garten in Coburg schon einen Vogelfriedhof angelegt, wenn auch ohne Seifenschachteln. Sie hatte Blumen auf die Gräber gepflanzt und kleine Kreuze. "Wir hatten ja kein Spielzeug mehr", hatte sie uns erzählt. "Also habe ich halt mit meinem Friedhof gespielt. Ich fand ihn so schön, außerdem war es etwas, was ich ganz für mich alleine hatte."
Und dann erzählte sie, wie traurig sie immer war, wenn sie aus der Schule nach Hause kam und ihren kleinen Friedhof zerstört fand. "Jeden Tag habe ich wieder die Kreuze aufgestellt und die Blumen aufs Grab gesetzt, doch jedes Mal machte die wieder jemand kaputt, während ich in der Schule war", sagte sie. "Meine Mutter erklärte mir dann irgendwann, dass es der Nachbar aus dem Erdgeschoss war. Sein einziger Sohn war gefallen, deshalb ertrug er den Anblick der kleinen Kreuze nicht."
Meine Schwester und ich fanden das immer total ungerecht, was konnten denn die armen Vögel dafür, dass sein Sohn tot war.
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Plötzlich und unerwartet
Und dann hielt ich heute Nachmittag auf einmal einen Zettel mit ihrer Schrift in den Händen. Flüchtig notiert, an dem letzten Tag, an dem wir uns sahen.
Ich wusste nicht mehr, dass er in dem Stapel auf meinem Schreibtisch lag, ich hatte doch nur ein bisschen Ordnung schaffen wollen. Ach,
Katja.
Eben suchte ich auf meinem Schreibtisch daheim nach der Konzertkarte. Und fand nur einen Einladungsbrief von meinem
Großcousin.
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Fade away
So far away
come on I’ll take you far away
let’s get away
come on let’s make a get-away.
- Franz Ferdinand: Fade together -
Als wir schließlich an meinem Auto standen, sahen wir uns schweigend an. Wenn er jetzt etwas sagt, dann frag’ ich ihn, dachte ich. Aber er blieb stumm, und auch seine halberhobene Hand fing er wieder ein und ließ sie sinken. Ich sah auf die Hand, die mein Gesicht streicheln wollte, dann in seine Augen. Und so standen wir da, am Auto für einen Moment. Schließlich schenkte ich ihm ein schiefes Lächeln. Ciao, sagte ich. Ciao, erwiderte er leise. Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie er mir noch lange nachschaute. Aber auch das verblasste.
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