Sonntag, 1. April 2007
Perla
1. August. Einmal. Eine Haarspange und ein Kamm.

6. August. Dreimal. Ein Spazierstock. Ein Damenregenschirm. Ein Füllfederhalter und ein Glas mit blauer Tinte.

11. August. Sechsmal. Ein Glas verwässerte Milch für Säuglinge. Ein Rucksack und ein Paar Herrengaloschen. Ein Damenhandkoffer aus Vulkanfieber. Ein Achtel Roggenbrot. Zulagenscheine für Schwerarbeiter.

Schon seit elf Tagen schlafe ich auf einem Speicher neben dem Feuerwehrhaus in der L-Straße. Herr L. ließ für mich die Mansarde herrichten. Von hier aus kann ich durch die Dachluke die Berge und die Hamburger Kaserne sehen - dort fahren die Transporte ab, und neue kommen dort an. Auf der nördlichen Bastei wachsen Erlen und Linden. Die Blätter werden langsam gelb. Zuerst werden sie gelb, und dann fallen sie ab.

- Arnošt Lustig: Die Ungeliebte. Aus dem Tagebuch einer Siebzehnjährigen -

So beginnt das Buch, das mich so zum Weinen brachte. Es gibt nicht viele davon. Ich will jetzt auch nicht viele Worte darum machen, lesen Sie es selbst.

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Ich hoffe...
das Buch ist so interessant, wie sich deine Empfehlung liest. Deshalb habe ich es mir grad eben bei Buchticket geholt.

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Wie ich an anderer Stelle bereits erwähnt habe, ist es ein unendlich trauriges Buch, doch frei von jeglichem Selbstmitleid. Es besticht durch eine sehr schöne Sprache und gute Dialoge. Ein Buch, das ich auf jeden Fall behalten werde. Als Vorgeschmack noch eine Kostprobe für Sie:

Ich glaube, daß ich in der Tat relativ glücklich bin. Als ich einmal nach Suppe Schlange stand, sagte mir einer, ich sähe so traurig aus, ich sollte beten. Ich dachte mir: warum nicht. Aber ich kann nicht beten. So müßte ich mir ein eigenes Gebet ausdenken. Ich weiß nicht, wo darüber entschieden wird, daß ein Mensch glücklich oder unglücklich sein soll.

Der Autor, Jahrgang 1926, kam als 16-Jähriger nach Theresienstadt, anschließend nach Auschwitz und Buchenwald. 1945 flüchtete er aus einem Todestransport.

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Das klingt nach einem Buch, das einem das Herz bricht.

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@arboretum:
Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend ein Taschenbuch, dessen Titel mir im Augenblick nicht mehr einfallen will. Obwohl ich schon sehr bald über 1.000 Bücher hatte, lag dieses Buch immer vorne im Regal, griffbereit. Den Inhalt des Buches werde ich nie vergessen, war es doch die Erzählung über eine Jugendgruppe im Warschauer Ghetto und ihr Versuch, der Endlösung zu entgehen.

Dieses Buch war so geschrieben, dass die Geschichte wie ein Film vor meinem inneren Auge immer und immer wieder ablief. Wie sich die Kinder durch Kellerlöcher bewegten, versuchten, essen zu bekommen, kämpften und so dem Ghetto zu entkommen.

Da ich in den letzten Jahren mehrfach umgezogen bin, ist dieses Buch verschwunden. Vermutlich liegt es irgendwo da, wo ich es niemals vermuten würde. Mein Wunsch ist, dieses Buch wiederzufinden und nochmals zu lesen. Und ich sehe den Einband vor mir: Ein Junge mit Mütze kriecht aus einem Gulli.

Aus diesem Grund bin ich schon jetzt gespannt, was mich aufgrund Ihrer/ deiner Empfehlung erwarten wird.

Weshalb ich auf den Beitrag sofort reagieren musste: Kennst Du / Kennen Sie das Buch "Hallo, Mr. Gott, hier spricht Anna" von Fynn? Das ist ein Buch, das ich niemals hergeben werde, ist dies doch eines der Bücher, bei dem ich immer weinen muss. Zig mal schon gelesen und immer wieder aufs Neue gerührt und berührt.

Garantiert hat jede Leseratte ein oder zwei Bücher im Regal stehen, das sie niemals hergeben wird. Das komplett zerflettert und zerknickt vom vielen Lesen ist, aber das immer wieder hervorgeholt wird.

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Geliebte Bücher vergeblich zu suchen, ist schrecklich. Es kann einen schier wahnsinnig machen, wenn man sie nicht findet, wenn man sie gerade braucht und unbedingt lesen muss.

Den Fynn besaß ich einst, aber den habe ich nach einigen Jahren weitergegeben an jemanden, der ihn gerne lesen wollte.

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Kennen Sie das Gefühl auch? Da war doch das Buch mit dieser oder jener Erzählung... aber: WO STEHT ES? Und es fliegen alle Bücher aus dem Regal. Und dann, wenn alles gut geht, steht das lang gesuchte Buch an allerletzter Stelle, irgendwo weit hinten in der dritten Reihe des Boardes.

Oder aber man muss erkennen, dass es nicht mehr da ist und dann geht das Grübeln los, an wen man das Buch wohl verliehen haben mag - meist ohne Ergebnis.

An Ihrer Reaktion zum Fynn entnehme ich, dass Sie von dem Buch nicht so ganz angetan waren. Kennen Sie eigentlich das Buch "Die Mütze oder Der Preis des Lebens" von Roman Frister?

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Doch, ich habe den Fynn mindestens zweimal gelesen, aber in jenem Moment konnte ich mich leichten Herzens trennen, um dem anderen eine Freude zu machen.

Nach mehreren Umzügen ist die Zahl meiner Bücher recht übersichtlich, ich habe nur sechs Regale, da weiß ich meist doch ziemlich genau, wo etwas steht, auch wenn einige Fächer zweireihig bestückt sind. Daher fliegen meine Bücher auch nie alle aus dem Regal, sondern ich räume sie allenfalls stapelweise aus. Wenn ich derzeit etwas vermisse, liegt es wahrscheinlich bei der besten Freundin unterm Bett. Sie dürfte schätzungsweise noch 20 bis 30 Bücher von mir haben und wusste auch nicht, wohin damit. Wir haben schon ausgemacht, dass ich sie nach ihrer nächsten Japan-Reise besuche und wir dann mal unsere Bücher wieder etwas auseinanderklamüsern.

Die Mütze wollte ich schon immer einmal lesen.

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Wenn Sie es nicht schon sind, dann sollten Sie sich bei Tauschticket.de anmelden. Dort steht das Buch mindestens dreimal im Angebot, jeweils für nur ein Ticket. ;) Das ist eine meiner Quellen für Bücher, die ich sammel oder suche (manchmal ohne Erfolg).

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Da bin ich natürlich schon längst, allerdings nicht unter dem Namen arboretum, den hatte sich leider schon jemand anderes gekrallt. Vielen Dank, dass Sie mich an dieses Buch erinnert haben. Die Ungeliebte hatte ich übrigens auch von dort, wie fast alle Bücher, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe.

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Habe es gerade
bestellt. Ihre Worte machen mir zwar ein bisschen Angst, aber es gibt nicht viele Bücher, die tatsächlich Tränen wert sind.

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Das Grauen kommt bisweilen ganz unscheinbar daher. In den peniblen Aufzeichnungen ihrer Einkünfte: zwei Dutzend Damentaschentücher und ein japanischer Fächer oder was auch immer die Menschen aus ihrem bisherigem Leben noch mitgenommen hatten. Und das dann, über Umwege vielleicht, bei Perla landete. Eingetauscht gegen Sex.
Dinge, bei denen ich mich manchmal fragte, ob man dafür in Theresienstadt wohl noch etwas Essbares bekam.

Eine Sammlung von Ansichtskarten der schönsten europäischen Städte.

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Arnošt Lustig ist vor drei Tagen im Alter von 84 Jahren in Prag an Leukämie gestorben.

Nachruf in der "Frankfurter Rundschau": Wer als letzter spricht

Nachruf in der "Zeit": Schriftsteller Arnost Lustig gestorben

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