Freitag, 5. August 2005
Kurze Beine
Meine Intuition hat mich nicht getrogen. Aber er hat mich belogen. Es war auch noch eine völlig unnötige Lüge. Ich jedoch begann deshalb schon, an mir selbst zu zweifeln.

Wann kapier' ich’s endlich? Meine Intuition lügt nicht.

Bitte hundertmal schreiben:
Meine Intuition lügt nicht. Meine Intuition lügt nicht. Meine Intuition lügt nicht. Meine Intuition lügt nicht. Meine Intuition lügt nicht. Meine Intuition lügt nicht...

Und darauf jetzt ein Stück Ananas*. Haha.

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Mittwoch, 27. Juli 2005
Eine Frau sieht rot
Ein schönes Rot soll ich mir vorstellen, sagt sie zu mir. Ich denke an einen meinen scharlachroten Samtrock, mein liebster Winterrock unter den roten. Ich besitze nicht viele Kleidungsstücke in rot, es ist nicht so meine Farbe. Jetzt soll ich diese Farbe empfinden. Wie bitte, fühlt man rot? Ich soll mir vorstellen, wie sich diese Farbe in Wellen in meinem Körper ausbreitet. Wellen. Oh ja, Ostsee ...

Ostsee. Falsche Farbe. Rot, rot sollst Du denken.
Zurück zum Rock also. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie Sie dieses Rot in eine Schüssel gießen. Das gelingt mir sogar halbwegs. Schöne blaue Schüssel. Dann breitet sich das Rot wieder wellenförmig aus. Ich bemühe mich, aber so recht will mir das nicht gelingen. Können wir nicht gold nehmen? Gold kann ich, aber rot? Inzwischen sind wir bei den Füßen. Vielleicht spüren Sie sogar ein Kribbeln, sagt sie. Ich merke nur, dass ich kalte Füße habe und versuche dann, dieses Rot die Waden hinauflaufen zu lassen, wie sie mir aufträgt. Die Kniekehlen sind sehr empfindlich, sagt sie.
Ja, ich weiß, Kniekehlen sind jetzt die neuen Ohrläppchen, aber mir sind Kniekehlen egal, und lasst auch bloß meine Ohrläppchen in Ruhe, ich kann es nicht ausstehen. Jetzt soll ich die Kniekehlen damit füllen. Ich denke angestrengt an ein schönes Rot. Das mit den Kniekehlen klappt trotzdem nicht.
Die Farbe soll sich weiter in Wellen ausbreiten, inzwischen sind wir bei den Schultern angelangt - und ich kurz vorm Verzweifeln. Mir kribbelt auch kein Rot in den Fingerspitzen, geschweige denn, dass ich es in mein Herz (hab’ ich denn eins?) zurückfließen lassen kann.

Ich glaube, ich habe ein Rot-Problem, sage ich, als ich die Augen wieder öffnen soll.
Erinnerungen sind an bestimmte Farben gekoppelt, erklärt sie mir. Sie schweigt einen Moment, dann sagt sie: Vielleicht haben Sie sich einmal verletzt.
Ich habe häufiger einmal Nasenbluten, erzähle ich ihr. Ich mag die Farbe meines Blutes.
Dann denken Sie beim nächsten Mal ruhig daran. Es ist eine schöne Farbe, meint sie. Und dann sagt sie noch, es könnte sein, dass mir die Farbe Rot jetzt häufiger im Alltag auffallen wird. Unwillkürlich muss ich daran denken und unterdrücke ein Grinsen. Ich habe doch gar kein Wahrnehmungs-, sondern nur ein Empfindungsproblem.

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Sonntag, 24. Juli 2005
Smoke gets in your eyes

Something here inside
Cannot be denied.

- Jerome Kern and Otto Harbach: Smoke gets in your eyes -

Nach so vielen Jahren manchmal immer noch den dringenden Wunsch nach einer Zigarette zu verspüren. Nicht, weil sie jetzt noch irgendwie schmecken könnte, sondern nur, um den Rauch tief in die Lungen zu ziehen, bis die Bronchien schmerzen. Weil man dann nicht mehr so merkt, dass es ein Stückchen darunter auch weh tut. Überhaupt betäubt Nikotin so wunderbar.

Zum Trinken ist es noch viel zu früh.

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This fire
Nicht mehr lange, dann werde ich ein Feuer entzünden. And our love become a funeral pyre. Reinigende Flammen - seit Wochen denke ich immer wieder daran. Das Bedürfnis wird immer stärker, bald ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Bald.

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Dienstag, 19. Juli 2005
Die Wunde

Ich trage Dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer und es fließt
das Herz sich nicht daraus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.

- Gottfried Benn -

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Dienstag, 19. Juli 2005
Stockholm Syndrome

This is the last time I'll abandon you
and this is
the last time I'll forget you
I wish I could.

- Muse: Stockholm Syndrome -

...

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Samstag, 16. Juli 2005
Meines Vaters Haus
Das war so schlimm für mich, sagt meine älteste Freundin am Telefon zu mir, dass ich nicht mehr in dieses Haus kommen konnte. Ich war immer so gern bei Euch, viel lieber als bei mir daheim. Bei Euch war es immer so schön - allein schon das Haus. Ich konnte ganz lange nicht mehr dorthin gehen, ich fand es unerträglich, dass jetzt da einfach andere Leute leben.

Ich weiß, sage ich, das ging vielen unserer Freunde so. Ich habe auch Jahre gebraucht, bis ich mich wieder in die Nähe wagte. Einmal waren wir alle fünf dort. Das große, alte Tor stand offen, wir gingen ein paar Schritte in den Hof. Meiner Mutter blutete das Herz, als sie sah, wie vernachlässigt der Garten war. Mein Vater war ganz gerührt, als er den Ahorn entdeckte, den er einst auf der Wiese vor dem Kellergewölbe gepflanzt hatte. Dann sagte er, dass er immer noch einen Haustürschlüssel hätte. Du auch?, fragten meine eine Schwester und ich und mussten kurz lachen. Ich habe ihn einfach mitgenommen, sagte mein Vater, es hat mich auch nie jemand danach gefragt. Er passt bestimmt noch.

Wie hast Du es nur ausgehalten, von dort fortgehen zu müssen, fragt sie mich dann. Ich meine, ich hatte ja schon das Gefühl, ein Stück Zuhause zu verlieren.

Es war unglaublich hart, antworte ich. Und zugleich war ich auch erleichtert. Wir hätten nicht mehr lange so weiter machen können. Und im Nachhinein kann ich nur sagen, es war genau zum richtigen Zeitpunkt. Schau, wie sich bald darauf drumherum alles änderte, so schön wie damals ist es dort schon lange nicht mehr. Außerdem hätten wir dort irgendwann eh fortgemusst, wie alle vor uns und nach uns auch. Spätestens 1998. So ist es eben 15 Jahre früher passiert. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass es nicht auf diese Weise passiert, aber anders wäre es sicherlich auch nicht viel leichter gewesen.

Den Schlüssel aber, den habe ich immer noch.

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Donnerstag, 7. Juli 2005

Mojique holds a package in his quivering hands
Mojique sends the package to the American man
Softly he glides along the streets and alleys
Up comes the wind that makes them run for cover
He feels the time is surely now or never...more.

- Talking Heads: Listening Wind -

Ich habe Freunde in London.
Die E-Mailadresse des einen gilt nicht mehr, der andere ist ohnehin offline. Hoffentlich erreiche ich sie heute Abend telefonisch.

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Montag, 4. Juli 2005
Der Wind trägt uns hinweg

Et tout va ira bien
Le vent nous portera

- Noir Désir: Vent Nous Portera -

Es waren Enten auf dem Wasser in der Nacht, als der Mann und die Frau auf seiner Seite des Flusses am Ufer saßen. Ein großer Schwarm ließ sich in völliger Stille den Strom hinabtreiben, wie eine riesige, schwarze Öllache. Das Paar, das nie offiziell eins war, war aus der Schwüle zwischen den Häusern hierher gekommen. Es war seine Idee gewesen. Unterwegs, so hatte er gehofft, würde seine schlechte Stimmung vielleicht wieder verfliegen, die ihn von einem Moment auf den anderen ergriffen hatte. Am Wasser war es kühler, Wind war aufgekommen. Die Frau verschränkte ihre bloßen Unterarme.

Frierst Du?, fragte er.
Nur ein bisschen.
Ich kann Dir mein Hemd nicht geben, sagte er mit vorwurfsvollem Unterton.
Ich weiß, entgegnete sie ruhig. Das habe ich auch nicht erwartet.
Stumm sahen sie aufs dunkle Wasser, auf dem die Enten herabtrieben.
Du hast mich heute Morgen beobachtet, warf er ihr plötzlich vor.
Ach, Quatsch.
Doch, ich habe es genau gesehen.
Wenn, dann hast wohl Du eher mich beobachtet, antwortete sie leichthin.

Seine Stimmung wurde immer aggressiver, er begann, ihr Vorhaltungen wegen der Nacht zuvor zu machen - gerade sie müsste doch etwas von Mystik verstehen. Sie sah nur auf das Wasser, ob dort vielleicht noch mehr Enten herumschwämmen und schwieg. Sie spürte, dass er die Wahrheit ahnte. Ewige Männerangst. Warum ihn also mit der Gewissheit kränken. Stumm summte sie eine Melodie in ihrem Kopf. Keine Enten zu sehen. Sie schaute auf die Lichter am anderen Ufer. Der warme Wind fuhr in Böen durch die Bäume, in der Ferne gab es ein Wetterleuchten.

Der Sommer geht heute zu Ende, sagte er zu ihr. Es wird jetzt nicht mehr so heiß werden. Warm vielleicht, aber nicht mehr heiß. Sie nickte.
Hier, zieh das an. Seine Stimme klang weich, als er ihr unvermittelt sein Hemd reichte, das er über dem T-shirt trug. Dann sprach er von jenem Herbst vor vier Jahren, wenige Monate nach ihrer ersten Begegnung. Im Spätsommer war sein Kind zur Welt gekommen, da war er noch nicht ganz 21. Sie hatten es erst nach der Trennung gezeugt. Ein Anruf seiner Mutter - Du hast einen Sohn -, die Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme, sein Ärger über ihren kummervollen Ton und zugleich sein alles überwältigendes Glücksgefühl. Das war der Abend, als die Krankheit allmählich von ihm Besitz ergriff.

Ich glaubte, ich könnte den Wind lenken. Ich befahl, und er musste folgen. Ich musste nur die Hand bewegen, um den Wind zu dirigieren. Er bewegte die Arme mit derselben ruhigen, eleganten Art, wie sie ihn später einmal ein Orchester leiten sehen würde.

Am Anfang habe ich es niemandem gesagt. Erst im November, mein Bruder kam zu mir ins Zimmer, da habe ich ihm gezeigt, was ich konnte. Jetzt wird er in diesen Baum fahren, dann in den Busch da. Und der Wind tat es.
Was hat Dein Bruder gesagt?
Er hat mir nicht geglaubt.
Und dann?
Noch in derselben Nacht habe ich zugestimmt, in die Klinik zu gehen. Ich habe ja irgendwie schon gewusst, dass man den Wind nicht lenken kann. Dort haben sie mich dann gefesselt und mir diese Spritze gegeben, obwohl ausgemacht war, dass sie sowas nicht machen. Ich wollte doch nur eine Zigarette, konnte mich aber nicht verständlich machen. Ich war so unruhig und bin dauernd hin- und hergelaufen, weil ich unbedingt eine Zigarette wollte, aber keine hatte.

Er schwieg für einen Moment. Obwohl, heute bin ich mir nicht sicher, ob ich es nicht doch konnte ... Ich glaube schon.
Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und lauschte auf den Wind, der durch die Bäume am Flussufer fuhr. Die Augen geschlossen, auf dem Gesicht der Ausdruck reinster Verzückung. So ist das also, dachte sie, als sie sein Gesicht betrachtete. So also fühlt es sich an. Und ihr wurde innerlich ganz kalt, da half kein Hemd mehr. Sag etwas, los, sag etwas. Gleich würde er die Balance verlieren, gleich. Der Wind zerrte wieder an den Zweigen. Die ersten Blitze erhellten über ihnen den Himmel.

Konntest Du dem Wind eigentlich auch befehlen zu schweigen?, fragte sie schließlich sanft. Er öffnete die Augen. Auf der anderen Seite des Flusses grollte schon der Donner.
Darum ging es doch gar nicht, entgegnete er ungehalten.
Ich dachte, wer den Wind lenken kann, könnte ihn sicherlich auch stoppen.
Der Blick, mit dem er sie bedachte, war verärgert, aber klar.
Lass uns gehen, es fängt gleich an, sagte er nur.

Am letzten heißen Abend dieses Sommers rannten sie zu zweit durch den Regen.
Der Wind trug sie hinweg. Nichts wurde gut.

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Montag, 27. Juni 2005
Lasso
Immer dann, wenn man sich so weit entfernt hat, stolpernd erst, weil tränenblind und mit wundem Herzen, dann aber zunehmend sicheren Schrittes - nachdem man seine Fingernägel oft genug in die Handfläche gekrallt hat, bloß nicht anrufen oder schreiben, schließlich hatte man sich doch geschworen, fürderhin zu schweigen, nachdem man die nächtlichen Träume gebannt hat und nicht mehr im Schlaf heimgesucht wird und auch tagsüber immer seltener daran denkt, und man es schließlich sogar vor aller Augen preisgegeben hat, um zu sehen, ob man nun auch das fertig bringt -, immer dann also, wenn man das Gefühl hat, bald habe man es endlich geschafft, dann kommt eine Short Message, eine E-Mail, ein Anruf. Zielgenau und treffsicher.

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