Donnerstag, 22. Dezember 2005
Yesterday Girl
Vielleicht bin ich ja hoffnungslos altmodisch - aber es irritiert mich, wenn ein verheirateter Mann die telefonische Schilderung seiner mehrwöchigen Lateinamerikareise, zu der er allein aufgebrochen war, mit den Worten beschließt: Es war toll. Schade, dass Du nicht dabei warst.

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Mittwoch, 21. Dezember 2005
Äquinoktium*
Wie in jedem Herbst sehnte ich die längste Nacht herbei. Von nun an geht's aufwärts, dem Frühling entgegen.

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Unser ungelebtes Leben

19.12.35

Seine liebevolle Geduld, diesen Wahnwitz damals mitzumachen, die Unruhe, die Geduld, neben einem Menschen zu leben, der wie ewig gejagt war, der immerzu Furcht, nein, Angst gehabt hat, jene Angst, die keinen Grund hat, keinen anzugeben weiß - heute wäre sie nicht mehr nötig. Heute weiß. Wenn Liebe das ist, was einen ganz und gar umkehrt, was jede Faser verrückt, so kann man das hier und da empfinden. Wenn aber zur echten Liebe dazu kommen muß, daß sie währt, daß sie immer wieder kommt, immer und immer wieder -: dann hat nur ein Mal in seinem Leben geliebt. Ihn.
Es war wie Glas zwischen uns - ich war schuld.

- Kurt Tucholsky (9.1.1890 - 21.12.1935) an Mary Gerold -

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Sonntag, 11. Dezember 2005
Ins Poesiealbum geschrieben
Man muß einen einfachen, eindeutigen Satz schreiben lernen. Das tut jedem gut.

- Ernest Hemingway -

Manche lernen es wohl nie.

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Sonntag, 4. Dezember 2005
Drei Gestalten aus Schnee
Schokoladenadventskalender, so las ich heute, soll es schon seit etwa 50 Jahren geben. Meinen ersten bekam ich aber erst mit acht oder neun Jahren, ich glaube, meine Großmutter oder deren Schwester hatte jedem von uns einen geschenkt. Von meinen Eltern bekamen wir wie immer Adventskalender, hinter deren Türen sich zwar keine Schokolade verbarg, die aber die viel schöneren Motive zeigten. Ich mochte diese Kalender sehr, manchmal waren sie sogar mit Glitter verziert, das liebte ich besonders. Die Schoko-Kalender hingegen waren in der Regel an Hässlichkeit kaum zu übertreffen. Keiner von denen blieb länger als Weihnachten stehen, während wir die anderen erst an Silvester wegräumten.

Mittlerweile ist es ziemlich schwierig geworden, Adventskalender aus Papier zu finden, die nicht das Auge beleidigen - sieht man einmal von den papiernenen Nachbauten der Frauenkirche oder Petersburger Kathedralen ab, die noch erheblich mehr kosten als jenes Luxusshampoo. Umso entzückter war ich, als ich neulich diesen Kalender entdeckte.



Besonders die Frisuren der zwei Gestalten im Schnee hatten es mir angetan, ich musste ihn auf der Stelle haben. Und in ein Haus mit Türmen, auf dessen Dachfirsten zwei Katzen und eine Eule thronen, würde ich auch einziehen.

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Samstag, 3. Dezember 2005
Alice vor den Spiegeln

I mean, she said, that one can’t help growing older.
ONE can’t perhaps, said Humpty Dumpty, but TWO can.
- Lewis Carroll: Through the Looking-Glass (deutsch: Alice hinter den Spiegeln) -


An den Moment erinnere ich mich noch genau, nicht aber daran, welcher Tag es war, als ich mir zum ersten Mal fremd im Spiegel wurde. Das Gesicht, das mir entgegenblickte, war zwar zweifellos meines, aber irgendetwas stimmte nicht und ließ mich anders aussehen, ohne dass ich hätte sagen können, was es war. Jedenfalls war das nicht mein Gesicht wie ich es kannte, und jedes Mal, wenn ich meinem Spiegelbild begegnete, war es mir von neuem fremd.
Einen Tag brauchte ich, bis ich die Ursache herausfand, drei weitere Tage sollte es dauern, bis ich mich daran gewöhnte. Kaum wahrnehmbar war sie, ich hatte ja selbst sehr lange und sehr genau hinschauen müssen, um sie zu entdecken: Die allererste winzigkleine Falte unter dem Auge.
Ich glaube, das war in meinem 31. Jahr. Ich erinnere mich auch noch daran, dass ich, nachdem ich sie entdeckt hatte, dachte: Jeder, der Dich jetzt noch kennen lernt, wird Dich nur noch so kennen. Er wird nicht wissen, wie Du vorher ausgesehen hast. Und das war im ersten Moment ein eigenartiges Gefühl.

Vier Monate später sagte eines Abends die liebe Freundin, die um genau jene Zeitspanne jünger ist als ich, plötzlich zu mir:
Neulich stand ich vorm Spiegel und war mir auf einmal so fremd.
Ich lachte leise und entgegnete:
Es hat einen Tag gedauert, bis Du herausgefunden hast, wieso. Und drei weitere Tage, bis Du Dich daran gewöhnt hast, nicht wahr?
Für einen kurzen Moment verblüfft, schaute sie mich an.
In mir, raunte ich mit übertriebener Grabesstimme, hast Du Deinen eigenen Verfall vor Augen. Schließlich bin ich Dir vier Monate voraus.
Da lachte sie sehr und sagte mit gespielter Theatralik:
Aber um den Zustand absoluter Makellosigkeit, keinen einzigen Pickel mehr und noch keine Falte zu haben, um den hat man mich irgendwie betrogen.

Von Zeit zu Zeit werde ich mir immer wieder einmal fremd im Spiegel. Es irritiert mich nicht mehr so, ich kenne ich ja nun den Grund. Doch noch immer dauert es drei Tage, bis mir das veränderte Gesicht vertraut wird. Weil es stimmt, was der Pianist Menahem Pressler, Gründer des Beaux Arts Trios, ein halbes Jahr vor seinem 75. Geburtstag einmal zu mir gesagt hat: "Man vergisst leicht das eigene Alter, wenn man nicht in den Spiegel sieht. Denn das Herz ist ziemlich jung."

Die Lange Nacht über das Alter, heute im Deutschlandfunk, 23.05 bis 2.00 Uhr.

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Donnerstag, 1. Dezember 2005
Gurgelnder Gully
In dieser zum Himmel stinkenden Pfütze ist Kai Diekmann Kapitän, Mathias Döpfner Großadmiral und Friede Springer Bademeisterin ehrenhalber. Hier dürfen sie einmal werktäglich Menschen kielholen, Genitalien mit Spuckebatzen aus Druckerschwärze bespeien und die Schlagzeilenpeitsche über Unterhosen schwingen. Im Miasma dieser Waschküchenlauge, die ihr natürliches Biotop ist, dürfen Kai Diekmann, seine Untergebenen und seine Vorgesetzten sich an dem ozeanischen Gefühl der Macht über den Leumund jedes Menschen ergötzen, der sich einbildet, ein Privatleben führen zu dürfen.

- G. Henschel: Von Tag zu Tag wird’s schmutziger. "Bild" als Kulturproblem -

"Wer Bild als Kolumnist oder als Interviewpartner dient, der ist ethisch gerichtet und hat seinen intellektuellen und moralischen Bankrott erklärt", schreibt Gerhard Henschel am Ende dieses lesenswerten Artikels in der Online-Ausgabe der Kulturzeitschrift Merkur - Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken.

Wem gleich nochmal hat die neue Bundeskanzlerin ihr erstes Interview gegeben?

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