Freitag, 15. Juli 2011
Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet


Georg Heck: Mainlandschaft am Hafen, um 1936 - Öl auf Leinwand. Kulturkreis Georg Heck e. V., Frankfurt am Main

Heute Nachmittag habe ich meinen Schreibtisch Schreibtisch sein lassen und bin einfach ausgebüchst, um mir die Ausstellung "Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet" im Museum Giersch anzuschauen. Ich mag dieses Museum ja sehr, schon allein wegen der beiden osteuropäischen Herren an der Kasse, die einen immer so fröhlich begrüßen und verabschieden. Es hat sich "regionaler Kunst von überregionaler Bedeutung" verschrieben und lässt mich jedesmal etwas entdecken.

Natürlich fehlen in solch einer Ausstellung nicht große Namen wie Max Beckmann, Alexej von Jawlesnky, Ernst-Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rottluff. Die arbeiteten schließlich alle einmal in der Gegend, einige wohnten jahrelang hier.



Ernst Ludwig Kirchner: Königstein mit roter Kirche, 1916 - Öl auf Leinwand. Privatbesitz. © Rheinisches Bildarchiv Köln/Britta Schlier

Dieser Schmidt-Rottluff gehört übrigens uns allen, wie man der Bildunterschrift entnehmen kann. Ich würde mir den auch gern einmal ausleihen. Darf ich?



Karl Schmidt-Rottluff: Dünental mit totem Baum, 1937 - Öl auf Leinwand. Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland. © VG Bild-Kunst, Bonn

Der Künstler Hermann Keil aus Darmstadt war mir hingegen zuvor kein Begriff. Seine Linolschnitte aus der Serie Eros gefielen mir sehr gut.



Hermann Keil: Liebespaar knieend, einander umarmend, 1921 - Linolschnitt aus der Serie „Eros“. Dokumentation zum Darmstädter Expressionismus, Sammlung Claus K. Netuschil

Auch der Name Hanns Ludwig Katz sagte mir bislang nichts. Er gründete 1920 gemeinsam mit Emil Betzler, Gottfried Diehl und dem Galeristen Herbert Cramer in Frankfurt die Künstlergruppe Ghat. Es gibt unterschiedliche Deutungen dieses Namens: Die einen beziehen ihn auf die gleichnamige Oase, andere sagen, die Künstler hätten einfach nur das Wort Tag umgedreht und ein h eingefügt, weil es schicker aussah. Und manche verweisen auch auf einen gleichlautenden Begriff im Sanskrit, dessen Bedeutung ich aber leider schon wieder vergessen habe.



Emil Betzler: Die Befreiung, 1920 - Holzschnitt. Nachlass Emil Betzler. © VG Bild-Kunst, Bonn

Die vier Männer führte weniger ein kunstrevolutionärer Impetus zusammen, vielmehr wollten sie mit ihrer Kunst Geld verdienen. Sie stellten gemeinsam aus und gaben Künstlermappen mit Druckgrafiken heraus, jeder war zu gleichen Teilen an den Einnahmen und Ausgaben beteiligt. Die Gruppe bestand allerdings nur ein knappes Jahr, zu wenig verband wohl die Vier. Diehl beschäftigte sich sehr mit religiösen Themen, Betzler mit dem Verhältnis der Geschlechter sowie Harlekinen, während Katz einen politischen Anspruch vertrat. Sein Vater war Journalist.



Hanns Ludwig Katz: Totentanz von 1919: Das Standgericht/Exekution, 1921 - Lithographie. Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe

Katz arbeitet schon in Frankfurt als Anstreicher, um über die Runden zu kommen. Er hatte zusammen mit einem Partner eine Firma. Weil er Jude war, wurde er 1933 aus dem Künstlerbund ausgeschlossen und seine Werke 1937 in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt. Er emigrierte ein Jahr vorher mit seiner zweiten Frau Ruth, einer Bildhauerin, nach Südafrika.

In Südafrika konnte man mit seiner Kunst auch nichts anfangen, seine Themen und sein Umgang mit Farben wurden dort nicht geschätzt. Die Südafrikanische Akademie der Künste verweigerte ihm nicht nur die Aufnahme, sondern sorgte auch noch dafür, dass seine Arbeiten nicht ausgestellt wurden. Bis auf seinen kleinen Freundeskreis, zumeist ebenfalls deutsch-jüdische Emigranten, war er intellektuell daher ziemlich isoliert. Er arbeitete wieder als Anstreicher, seine Frau hielt die Familie über Wasser, indem sie Plattencover entwarf. Katz starb 1940 im Alter von 48 Jahren an Krebs. Er und seine Kunst wurden erst ein halbes Jahrhundert später wiederentdeckt (Quelle). In der Ausstellung erfährt man das übrigens nicht, darum erzähle ich es jetzt hier.

Ebenfalls neu war mir, dass es bereits 1920 dadaistische Spottverse über die Nazi-Parolen gab. Hans Schiebelhuth verfasste Der Hakenkreuzzug. Neodadaistische Ungedichte und Viktor Joseph Kuron schuf Holzschnitte dazu. Das Heft, das im Verlag Die Dachstube erschien, liegt in einer der Vitrinen, viele Besucher gehen achtlos daran vorbei.

Die Räume im obersten Stockwerk sind den Kunsthändlern und Sammlern gewidmet, auch hier trifft man auf berühmte Namen wie Carl Hagemann, Hanna Bekker vom Rath, Heinrich Kirchhoff und Alexander Koch, aber auch andere, weniger bekannte, obgleich auch sie einst bedeutende Sammlungen besaßen oder wichtige Kunsthändler waren.

Insgesamt bekommt man 138 Exponaten von 59 Künstlerinnen und Künstlern aus öffentlichem und privatem Besitz zu sehen. Und eine digitale Diaschau erinnert daran, welch wunderbare Werke einst die Museen in der Region besaßen, die die Nazis dann in alle Welt verkauften.

Wer noch mehr wissen möchte, kann das im Faltblatt nachlesen. Oder geht am besten selbst hin. Es lohnt sich.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 31. Juli im Museum Giersch, Schaumainkai 83 (Museumsufer), 60596 Frankfurt am Main, Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 12 bis 19 Uhr, Freitag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt: 5 Euro (ermäßigt 2,50 Euro), Audio-Guide: 3 Euro.

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