Freitag, 5. Januar 2007
Draußen spielen
Heute ist der dritte, und ich habe nur noch fünf Euro auf dem Konto, erzählt mir die Nachbarin von gegenüber. Internet und Telefon sind abgestellt, weil ich die Rechnung nicht bezahlen konnte. Ihre Hand wedelt in die Richtung eines ordentlich gestapelten Packens Briefumschläge. Da liegen die anderen, ich mache sie schon gar nicht mehr auf, ich kann sie sowieso nicht bezahlen. Die verdammten Nachzahlungen für Strom und Gas haben mir das Genick gebrochen. Früher mit der Sozialhilfe ging das noch immer irgendwie, aber seit Hartz IV habe ich dauernd Probleme. Gibt Dir denn das Amt kein Darlehen dafür?, frage ich. Haben sie ja schon, jetzt zahle ich jeden Monat 120 Euro zurück.

Ihre Tochter kommt zu uns in die Küche, mein Leihkind, das mich manchmal besuchen kommt und mit mir Galgenmännchen spielt. Mama, ich möchte mich mit Helena verabreden, darf ich? Ja, sagt meine Nachbarin. Hier, nimm das Handy, auf der Karte ist noch etwas drauf. Aber denk dran, wenn Ihr Euch hier trefft … Sie zögert, bevor sie weiterspricht. Du weißt, der Kühlschrank ist leer, ich kann Euch nichts zu essen machen.
Ist gut, Mama, antwortet das Mädchen. Wir wollten eh rausgehen.

Als wir wieder allein sind, schaut mich meine Nachbarin niedergeschlagen an. Ich weiß bald nicht mehr, was ich machen soll, sagt sie leise. Beim Supermarkt da vorne hatte ich einen Zettel an der Tür gesehen: Aushilfe für zehn Stunden in der Woche gesucht. Ich habe mich gleich beworben, aber die wollten mich nicht. Aus betriebsbedingten Gründen. Ihre Stimme klingt bitter, als sie die üblichen Phrasen aus der Absage zitiert. Was ist denn an mir verkehrt? Guck Dir doch ’mal die anderen an, die dort arbeiten. Selbst die 16-jährige Martina haben sie genommen, und die ist echt nicht besonders helle. Als ich die an der Kasse sitzen sah, bin ich heulend aus dem Laden heraus.
Ich schaue meine hübsche, junge Nachbarin an und weiß auch nicht, was an ihr verkehrt sein soll.

Vorhin war ich kurz einkaufen. Der Zettel hängt noch da.

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"Betriebsbedingten Grunden" Das ich nicht lache. Die arme. Möge es uns allen in 2007 besser gehen.

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Ich habe mich hinterher gefragt, ob die sie nicht wollten, weil sie in ihrem Lebenslauf "ledig, ein Kind" angeben muss.

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Muss man das denn angeben? Das geht den Arbeitgeber doch eigentlich nichts an, oder sehe ich das falsch? Unbekannter Weise drücke ich jedenfalls die Daumen für mehr Glück und bessere Jobs.

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Familienstand und Kinderzahl werden normalerweise im Lebenslauf aufgeführt. Ist ja eh auf der Lohnsteuerkarte anhand der Steuerklasse und des Freibetrags ersichtlich.

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Oh, das habe ich nie gemacht und bin auch nie gefragt worden. Ist vielleicht die bessere Alternative, denn wenn erst einmal die Steuerkarte auf dem Tisch liegt, kann der Chef von seiner Zusage ja schlecht wieder zurück.

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Das schnürt einem ja das Herz zusammen. Ich drücke ihrer Nachbarin fest die Daumen, dass sie doch noch einen Job findet und sie es aus der Schuldenfalle schafft...

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Wie die Zehnjährige Ist gut, Mama, wir wollten eh rausgehen sagte ging mir noch lange nach.
Meine Nachbarin hofft jetzt auf den Ehemann einer Bekannten, der sei Personalvermittler und wolle ihr helfen.

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Ich kann
das bei allem Verständniss fuer die Besch.. Situation des Einzelnen nicht mehr hören. Dann muss man eben weg aus D fertig. Ich kriege hier oben fuer gut bezahlte Jobs keine Leute und höre nur Geqammer und Anspruchsdenken. Zehn Euro die Stunde ? Mein persönlicher Verdienst als Unternehme ist ERHEBLICH niedriger bei sehr, sehr langen Arbeitstagen. ( Man hat mir mal gesagt meine Arbeitszeit sei Sklaverei und ein Rueckfall in die Steinzeit aber schaut euch mal um wie die Masstäbe wirklich sind ) So what ? Schaut euch mal in der Welt um, dammed. Jeder Hartz weis der Geierwas Empfänger gehört zu den reichsten 5 % der Weltbevölkerung.
Ok, Ok D ist teuer aber dann muss man sich eben bewegen.
Es gibt immer Möglichkeiten. Wenn man will. Und keine ueberhöhten Ansprueche hat. Und der TV, der Computer, das eigene Handy sind nun mal Luxus. Nothing more, nothing less.

Mfg
Otaku

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Ich wiederum finde es sehr bezeichnend, dass Sie einer von den MfG-Schreibern sind. Eine Abkürzung, die ich, nebenbei bemerkt, verabscheue. An ihr zeigt sich auch eine gewisse Geisteshaltung, die mir nicht behagt.

Das zehnjährige Mädchen hat einen sehr guten, engen Kontakt zu ihrem Vater, den sie regelmäßig sieht und bei dem sie jedes zweite Wochenende verbringt. Damit wäre es vorbei, zöge ihre Mutter mit ihr nach Schweden. Von ihren schulischen Chancen einmal ganz zu schweigen, sie kommt im Sommer auf die weiterführende Schule.
Abgesehen davon, was wollen sie mit einer Bürokauffrau, die kein Schwedisch kann und auch in diesem Beruf noch nie gearbeitet hat? Die Frau hat kein Anspruchsdenken geäußert, sondern ist unglücklich darüber, dass man sie bei einem Discounter nicht einmal für eine Aushilfstätigkeit geeignet hält.

Heben Sie sich also Ihre Texte besser für den Stammtisch auf und erwarten Sie besser auch kein Mitleid von mir für Ihre langen Arbeitstage. Sie sind doch Unternehmer geworden, weil Sie das wollten, machen also eine selbstgewählte Arbeit, die Sie lieben, in einem Land, das Sie sich ausgesucht haben. Was soll dann jetzt Ihr Gejammer und diese Moralkeule?

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Ah, hier.
Ansonsten: Otaku, Thema verfehlt, setzen.

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@Es gibt immer Möglichkeiten. Wenn man will. Und keine ueberhöhten Ansprueche hat. - Ach ja, was denn? Omas im Park ausrauben? Betteln gehen? Wenn ich so etwas ignorantes lese, sträuben sich mir die Nackenhaare.

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Nun ja
Mfg lässt also auf die Geisteshaltung schliessen ? Frei nach Hildebrand : wer so schnell etwas schliest ohne sich selbst erschlossen zu haben was da denn zu erschliessen wäre, dem fehlt es an dem Entschluss sich etwas zu erschliessen. Das dazu.
Und was schulische Chancen in D angeht muessen wir jetzt ueber Pisa streiten ? Nicht wirklich oder ? Ferner will ich gar nichts mit einer Buerokauffrau. Ich sage nur das es Ihr so schlecht nicht gehen kann den sonst wuerde Sie egal wo jeden Job annehmen. Sieh den sehr konkreten Vorschlag in meinem Blog. Wie Millionen andere Menschen. Und meine Arbeitstage machen mich gluecklich wo habe ich gejammert ? Und Stammtisch... Sieh weiter oben. Moralkeule ? Auch nicht. Sollte nur der Hinweis darauf sein das dieser Planet gross und es auch Hartz Empfänger am weltweiten Schnitt gemessen gut geht. Das ist Fakt. Wie man das findet, das wiederum ist was anderes, oder ? Und natuerlich will der Supermarkt keine gestandene Frau die wohlmöglich noch zu irgendwas eine eigene Meinung hat. Das macht arbeit die man sich nicht machen muss. Ihr seid in diesem Land geblieben also wenn euch was nicht passt ändert doch was. In Blogs lamentieren ist einfach. Und ignorant bin ich jederzeit gerne. Man denke so man die möglichkeiten ( sprich das geistige Ruestzeug ) dazu hat mal drueber nach warum ....

Mfg

Otaku

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Für den konkreten Vorschlag in Ihrem Blog kommt meine Nachbarin nicht in Frage, denn wie Sie selbst schreiben: Einstellungsvoraussetzung: Schwedische Sprachkenntnisse. Und ob sie jemals Geld hatte, den Führerschein - eine weitere Einstellungsvoraussetzung - zu machen, wage ich zu bezweifeln. Abgesehen davon ist auch gar nicht jeder körperlich für diese Arbeit geeignet. Alte Leute sind nicht selten ganz schön schwer, vor allem alte Männer, mithin braucht es auch einiges an Kraft, wenn man die aus dem Bett wuchten muss, um sie zu waschen.

Und wie gesagt, das Kind hat ein Recht auf den Umgang mit Vater und Mutter, insofern ist Ihr toller Vorschlag kein bisschen konstruktiv.
Ganz gewiss werde ich hier in meinem Blog keine Pisa-Diskussionen führen, die hängen mir nämlich ziemlich zum Hals heraus. Dass Sie keine Zeichensetzung beherrschen, ist offenkundig, ich glaube aber nicht, dass daran die deutschen Schulen schuld sind.

Im Übrigen habe ich nicht lamentiert, sondern lediglich eine Geschichte aus meiner Nachbarschaft erzählt. Die Person, um die es dabei eigentlich geht, ist das kleine Mädchen, falls Sie das nicht gemerkt haben sollten. Haben Sie nicht, schon klar, Sie waren ja viel zu beschäftigt, sich sofort zu ereifern.

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Die Ereiferung geht übrigens in eine Richtung, die wohl kaum als vorbildliche Problemlösung betrachtet werden kann. Auswanderung, Arbeitsmigrantentum. Soll das etwa die Empfehlung an alle deutschen Langzeitarbeitslosen sein? Dann wären wir ja wieder auf dem Status quo von 1848-1870 angelangt. Toller Fortschritt!

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Für die Länderkassen wäre es aber noch besser, wenn die Landeskinder wieder verkauft würden, so wie früher beim Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel. Soldaten werden doch überall auf der Welt gebraucht, nimmt man diesmal halt Langzeitarbeitslose dafür.

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Na dann ab nach Kassel:-)

Obwohl der tansanische Kindersoldat, glaube ich , belastbarer ist als der langzeitarbeitslose deutsche Buchhalter. Manchen Glatzen hingegen würde man am Ende damit sogar noch eine Freude machen. Man könnte es aber noch gründlicher machen, wie in Rom: Vom Gladiator bis zum griechischen Philosophen wird alles auf dem Markt gehandelt, bzw. bei Karstadt. Warum denn für Arbeit Geld zahlen?

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Eine Geschichte, die sehr schmerzt beim Lesen.
Ich kenne selbst Menschen, die über lange Zeit auf Sozialleistungen angewiesen waren. Früher konnte man damit noch einigermaßen über die Runden kommen. Mit Hartz hat sich alles verschärft. Die Nebenkostennachzahlungen sind nur ein Faktor. "Dann müssen Sie eben Wasser sparen", sprich: nur einmal in der Woche Duschen, am besten kalt. Und den Rest wie vor 100 Jahren mit dem Waschlappen und dem Wasserkrug. Alles darüber ist ja Luxus.

Ich kann es beim besten Willen nicht verstehen, wenn Betriebe Bewerber ablehnen dürfen, die arbeiten wollen und wo sich kein objektiver Hinderungsgrund zeigt.
Wenn Deine Nachbarin wirklich hübsch ist, ist wohl Stutenbissigkeit im Spiel...

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Ich weiß nicht, ob nicht vielleicht ein Mann den Laden leitet. Vor dem Umzug in den Neubau hatten die jedenfalls dort einen Marktleiter.

Und was das Nicht-Duschen angeht, so erlebe ich seit etlichen Wochen das Missvergnügen, am Waschbecken planschen zu müssen ... aber wenigstens mit warmen Wasser.

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Wegen des Supermarktes: sowas macht mich sauer. Ich würde wahrscheinlich in einer Nachtundnebelaktion einen Zettel darunter kleben und draufschreiben, daß man hier nicht eingestellt wird, auch wenn man sich eignen würde. Naja, wahrscheinlich würde ich es doch nicht machen. Nur in Gedanken eben.
Trotzdem:
Man muß dort nachhaken, irgendwie. Diese Entscheidung darf man nicht unkommentiert lassen, muß sie hinterfragen

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