Samstag, 9. Juli 2005
Liebe usw.
Weißt Du, sagt sie zu mir, das Wichtige ist nicht, ob man geliebt wird. Sondern, ob man selbst lieben kann. Natürlich wünscht man sich als Kind, geliebt zu werden, doch es kommt viel mehr darauf an, ob man später selbst dazu fähig ist.
Als damals unser Sohn vor der Geburt starb, war es das erste Mal, dass ich überhaupt merkte, dass ich ein Herz habe. Dass da etwas ist, so eine Wärme ist. All die Jahre habe ich überhaupt keine Gefühle gespürt. Das ist mir jetzt erst klar geworden. Sie schüttelt leicht den Kopf. Dann sagt sie es noch einmal: Dabei ist es doch die eigene Liebesfähigkeit, worauf es wirklich ankommt.

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Donnerstag, 7. Juli 2005

Mojique holds a package in his quivering hands
Mojique sends the package to the American man
Softly he glides along the streets and alleys
Up comes the wind that makes them run for cover
He feels the time is surely now or never...more.

- Talking Heads: Listening Wind -

Ich habe Freunde in London.
Die E-Mailadresse des einen gilt nicht mehr, der andere ist ohnehin offline. Hoffentlich erreiche ich sie heute Abend telefonisch.

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Montag, 4. Juli 2005
Der Wind trägt uns hinweg

Et tout va ira bien
Le vent nous portera

- Noir Désir: Vent Nous Portera -

Es waren Enten auf dem Wasser in der Nacht, als der Mann und die Frau auf seiner Seite des Flusses am Ufer saßen. Ein großer Schwarm ließ sich in völliger Stille den Strom hinabtreiben, wie eine riesige, schwarze Öllache. Das Paar, das nie offiziell eins war, war aus der Schwüle zwischen den Häusern hierher gekommen. Es war seine Idee gewesen. Unterwegs, so hatte er gehofft, würde seine schlechte Stimmung vielleicht wieder verfliegen, die ihn von einem Moment auf den anderen ergriffen hatte. Am Wasser war es kühler, Wind war aufgekommen. Die Frau verschränkte ihre bloßen Unterarme.

Frierst Du?, fragte er.
Nur ein bisschen.
Ich kann Dir mein Hemd nicht geben, sagte er mit vorwurfsvollem Unterton.
Ich weiß, entgegnete sie ruhig. Das habe ich auch nicht erwartet.
Stumm sahen sie aufs dunkle Wasser, auf dem die Enten herabtrieben.
Du hast mich heute Morgen beobachtet, warf er ihr plötzlich vor.
Ach, Quatsch.
Doch, ich habe es genau gesehen.
Wenn, dann hast wohl Du eher mich beobachtet, antwortete sie leichthin.

Seine Stimmung wurde immer aggressiver, er begann, ihr Vorhaltungen wegen der Nacht zuvor zu machen - gerade sie müsste doch etwas von Mystik verstehen. Sie sah nur auf das Wasser, ob dort vielleicht noch mehr Enten herumschwämmen und schwieg. Sie spürte, dass er die Wahrheit ahnte. Ewige Männerangst. Warum ihn also mit der Gewissheit kränken. Stumm summte sie eine Melodie in ihrem Kopf. Keine Enten zu sehen. Sie schaute auf die Lichter am anderen Ufer. Der warme Wind fuhr in Böen durch die Bäume, in der Ferne gab es ein Wetterleuchten.

Der Sommer geht heute zu Ende, sagte er zu ihr. Es wird jetzt nicht mehr so heiß werden. Warm vielleicht, aber nicht mehr heiß. Sie nickte.
Hier, zieh das an. Seine Stimme klang weich, als er ihr unvermittelt sein Hemd reichte, das er über dem T-shirt trug. Dann sprach er von jenem Herbst vor vier Jahren, wenige Monate nach ihrer ersten Begegnung. Im Spätsommer war sein Kind zur Welt gekommen, da war er noch nicht ganz 21. Sie hatten es erst nach der Trennung gezeugt. Ein Anruf seiner Mutter - Du hast einen Sohn -, die Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme, sein Ärger über ihren kummervollen Ton und zugleich sein alles überwältigendes Glücksgefühl. Das war der Abend, als die Krankheit allmählich von ihm Besitz ergriff.

Ich glaubte, ich könnte den Wind lenken. Ich befahl, und er musste folgen. Ich musste nur die Hand bewegen, um den Wind zu dirigieren. Er bewegte die Arme mit derselben ruhigen, eleganten Art, wie sie ihn später einmal ein Orchester leiten sehen würde.

Am Anfang habe ich es niemandem gesagt. Erst im November, mein Bruder kam zu mir ins Zimmer, da habe ich ihm gezeigt, was ich konnte. Jetzt wird er in diesen Baum fahren, dann in den Busch da. Und der Wind tat es.
Was hat Dein Bruder gesagt?
Er hat mir nicht geglaubt.
Und dann?
Noch in derselben Nacht habe ich zugestimmt, in die Klinik zu gehen. Ich habe ja irgendwie schon gewusst, dass man den Wind nicht lenken kann. Dort haben sie mich dann gefesselt und mir diese Spritze gegeben, obwohl ausgemacht war, dass sie sowas nicht machen. Ich wollte doch nur eine Zigarette, konnte mich aber nicht verständlich machen. Ich war so unruhig und bin dauernd hin- und hergelaufen, weil ich unbedingt eine Zigarette wollte, aber keine hatte.

Er schwieg für einen Moment. Obwohl, heute bin ich mir nicht sicher, ob ich es nicht doch konnte ... Ich glaube schon.
Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und lauschte auf den Wind, der durch die Bäume am Flussufer fuhr. Die Augen geschlossen, auf dem Gesicht der Ausdruck reinster Verzückung. So ist das also, dachte sie, als sie sein Gesicht betrachtete. So also fühlt es sich an. Und ihr wurde innerlich ganz kalt, da half kein Hemd mehr. Sag etwas, los, sag etwas. Gleich würde er die Balance verlieren, gleich. Der Wind zerrte wieder an den Zweigen. Die ersten Blitze erhellten über ihnen den Himmel.

Konntest Du dem Wind eigentlich auch befehlen zu schweigen?, fragte sie schließlich sanft. Er öffnete die Augen. Auf der anderen Seite des Flusses grollte schon der Donner.
Darum ging es doch gar nicht, entgegnete er ungehalten.
Ich dachte, wer den Wind lenken kann, könnte ihn sicherlich auch stoppen.
Der Blick, mit dem er sie bedachte, war verärgert, aber klar.
Lass uns gehen, es fängt gleich an, sagte er nur.

Am letzten heißen Abend dieses Sommers rannten sie zu zweit durch den Regen.
Der Wind trug sie hinweg. Nichts wurde gut.

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Sonntag, 3. Juli 2005
My memory snapped
Mehr als 20 Jahre lang habe ich nicht mehr an ihn gedacht. Als ich 14 war, hatte ich einen Freund, der sah aus wie Tom Chaplin, der Sänger von Keane. Der Grund, warum wir uns damals trennten, ist mir genauso entfallen wie sein Nachname, es wird wohl wegen irgendeiner Nichtigkeit gewesen sein, jedenfalls wollte er ein Vierteljahr später gern wieder mit mir zusammenkommen. An sich wäre dagegen auch gar nichts zu sagen gewesen, doch hatte er mir an jenem Abend eben auch erzählt, dass er in der Zwischenzeit meine Loyalität angezweifelt, das Gerede anderer geglaubt hatte. Unbesehen und ungefragt. Da sah ich keinen Sinn mehr darin, er aber konnte das nicht verstehen.

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Samstag, 2. Juli 2005
Potlatch

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Do you speak my language?
An sich hatten Picasso und ich nichts gemeinsam, tatsächlich verband uns aber sehr viel. Eines Tages, als ich ihm in einem Anflug von Herzlichkeit - sehr im Gegensatz zu der "englischen Zurückhaltung", die ich zuvor gezeigt hatte - gestand, wie unbefangen ich mich in seiner Gegenwart fühle, packte er mich am Arm und rief erregt: "Aber das ist ja genau das, was ich auch empfinde. Als ich jung war, noch jünger als Sie heute, fand ich nie einen Menschen, der so wie ich war. Ich hatte das Gefühl, völlig isoliert zu leben, und sprach mit niemandem über das, was ich wirklich dachte. Ich flüchtete mich ganz in meine Malerei. Im Lauf des Lebens traf ich hier und da Menschen, mit denen ich mich ein wenig austauschen konnte, und mit der Zeit wurde das immer besser. Auch ich hatte bei Ihnen das Gefühl, daß wir dieselbe Sprache sprechen. Vom ersten Augenblick an, wußte ich, daß wir etwas miteinander anfangen könnten."

- Françoise Gilot, Carlton Lake: Leben mit Picasso. München 1984. -

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Mittwoch, 29. Juni 2005
Staubwirbel
Kein Mensch bedeutet mir wirklich etwas. Für mich sind andere Menschen wie diese kleinen Staubkörner, die da im Sonnenlicht schweben. Nur ein Schlag mit dem Besen, und draußen sind sie.

Das hat Pablo Picasso einmal zu seiner Geliebten Françoise Gilot gesagt, als sie zusammen den tanzenden Staub in einem Sonnenstrahl beobachteten, der ins Zimmer fiel. Die Malerin entgegnete daraufhin, wie oft sie in seinem Umgang mit anderen Menschen bemerkt hätte, dass die nur ein Staubkörnchen für ihn seien. Sie aber sei ein kleines Staubkörnchen, das sich selbstständig bewegen könne und keinen Besen brauche: Sie könne von selbst gehen. Sie ging und blieb drei Monate fort. In ihren Erinnerungen heißt es dazu weiter:

Nicht, daß ich seine Größe nicht bewundert hätte; nur sah ich sie nicht gern getrübt durch eine Überheblichkeit, die für mich mit wahrer Größe unvereinbar war. Ich verehrte ihn als Künstler außerordentlich, doch wollte ich weder sein Opfer sein noch eine Märtyrerin. Offenbar war gerade das einigen anderen seiner Freundinnen passiert.

Der 40 Jahre jüngeren Künstlerin gestand Picasso noch am Anfang ihres Kennenlernens: Ich fürchte, ich werde sterben, ohne je geliebt zu haben.
Das erste Mal begegnet sind sie sich 1943, da war Françoise Gilot 21 Jahre alt und hatte gerade ihre erste Ausstellung gehabt. Zehn Jahre später, in denen sie zwei Kinder von ihm bekommen hatte, verließ sie - Keine Frau verläßt einen Mann wie mich - Picasso, der mit Vorliebe behauptete, es gäbe nur zwei Kategorien von Frauen: Göttinnen und Fußabstreifer.
Wenig überraschend findet sich in ihren Erinnerungen auch der traurige Satz:

Und immer, wenn er dachte, ich könne mich zu sehr als Göttin fühlen, tat er, was er konnte, um mich zum Fußabstreifer zu erniedrigen.

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