Montag, 30. Mai 2005
Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen

But I know what a prince and lover ought to be,
I know what a prince and lover ought to be...

- Spin Doctors: Two Princes -

Ich gestehe, bislang habe ich noch nie Erbsen gezählt. Ohnehin lässt sich der Wert der Geschenke, die ich von meinen Prinzen bekam, materiell kaum bemessen - habe ich doch seit eh und je mehr ein Herz für Männer, die arm an Geld, aber reich an schönen Worten sind. Ich glaube, das teuerste Geschenk, das mir jemals einer von ihnen machte, kostete 200 Rubel.

Meine einstige Freundin - ihr Lieblingsmärchen war „Aschenputtel“ -, besaß in der Hinsicht mehr ökonomischen Verstand, sie liebte immer nur Männer mit Geld. Die führten sie in teure Restaurants aus und legten ihr allerlei zu Füßen: Diamantringe, armlange Baccararosen und... Stofftiere. Von denen besaß sie eine beachtliche Sammlung.

Ich hingegen bekam meist Bücher geschenkt und Briefe geschrieben, erhielt Gedichte und ein Gemälde. Man spielte Klavier für mich oder sang und schmierte Marmeladenbrote. Der Russe, der mir das Bild malte, verwendete außerdem einmal sein komplettes Monatsgehalt darauf, mir ein französisches Parfum zu schenken. Für diese Geste muss er einen Monat lang nur von Brot und Tee gelebt haben.

Nichts davon hätte ich gegen ihre Klunker tauschen wollen, schon gar nicht gegen die Stofftiere. Denn nicht einer ihrer Prinzen blieb die ganze Nacht auf, um ihr einen Brief oder ein Gedicht zu schreiben. Keiner ihrer Prinzen hat je für sie gehungert.

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Samstag, 21. Mai 2005
Five Hundred Miles

If you miss the train I'm on,
you will know that I am gone,
you can hear the whistle blow a hundred miles.

- Hedy West, Bobby Bare, Charlie Williams: Five Hundred Miles -

Ich muss wieder einmal schauen, wie es anderswo aussieht. Es ist zwar ziemlich viel Regen für dort angesagt, aber ich habe trotzdem Sonnenmilch eingepackt, Optimistin, die ich bin. Schließlich will ich auch einmal ans Meer. Und wenn ich wieder zurück bin, dann wird hier vielleicht auch etwas weniger gestorben. Bis denne.

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Freitag, 20. Mai 2005
Knüppel aus dem Sack
Die von mir sehr geschätzte Frau Modeste hat mir ein Stöckchen zugeworfen, nicht ahnend, in welchen Entscheidungsstress sie mich damit bringen würde. Aber gut, ich versuche es.

1. Du steckst in der Welt von Fahrenheit 451, welches Buch möchtest Du sein?

Mein Herz so weiß von Javier Marias, obwohl der Ich-Erzähler im Grunde unsympathisch ist. Aber ein Buch, das mit dem Satz anfängt:

"Ich wollte es nicht wissen, aber ich habe erfahren, daß eines der Mädchen, als es kein Mädchen mehr war, kurz nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise das Badezimmer betrat, sich vor den Spiegel stellte, die Bluse aufknöpfte, den Büstenhalter auszog und mit der Mündung der Pistole ihres Vaters, der sich mit einem Teil der Familie und drei Gästen im Eßzimmer befand, ihr Herz suchte."

finde ich unwiderstehlich. Stilistisch ist das später entstandene Morgen in der Schlacht denk an mich zwar noch besser und beginnt auch mit einem großartigen Satz: "Niemand denkt je daran, daß er irgendwann eine Tote in den Armen halten könnte und daß er nicht mehr ihr Gesicht sehen wird, an dessen Namen er sich erinnert", aber Idee und Plot gefallen mir in Mein Herz so weiß besser.

Außerdem würde ich noch versuchen, wenigstens ein paar Erzählungen aus Seltsam wie die Liebe von Barbara Gowdy auswendig zu lernen.

2. Warst Du je in eine Figur aus einem Buch verknallt?

Früher regelmäßig. So regelmäßig, dass ich nicht mehr weiß, wer der erste war. Krabat war aber mit Sicherheit dabei.

3. Welches Buch hast Du zuletzt gekauft?

Für mich? Leo Perutz Der Judas des Leonardo und Charles Todd Search the Dark (ein Inspektor mit Schützengrabenneurose, der ständig von dem Geist seines ehemaligen Corporal Hamish MacLeod begleitet wird, den er wegen Befehlsverweigerung an der Front erschießen ließ - die Geschichte spielt nach dem Ersten Weltkrieg in Großbritannien, falls sich jetzt gerade jemand gewundert haben sollte). Beides war Zuglektüre.

4. Welches Buch hast Du zuletzt gelesen?

Den Perutz. Leonardo da Vinci fehlt für sein Gemälde Das Abendmahl im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie noch das Modell für den Kopf des Judas. Auf seiner Suche nach dem "allerschlechtesten Menschen von ganz Mailand" stößt er schließlich auf den böhmischen Kaufmann Joachim Behaim, der aus Stolz einen Verrat an seiner eigenen Liebe begeht.

5. Welches Buch liest Du gerade?

Heute morgen im Bett las ich das erste Kapitel von Tanz ums Grab von Nigel Barley, liegt ja schon lang genug bei mir auf dem Fußboden herum. Ich habe kein Platz mehr in den Regalen und auch kein Platz mehr für Regale, also liegen die von der Freundin geliehenen Bücher ordentlich gestapelt auf dem Boden - sie macht es mit meinen Büchern genauso. Die gegenseitige Ausleiherei soll natürlich nur Platz schaffen ;-), aber irgendwie haut das nicht wirklich hin, zumal sie mehr Bücher kauft als ich. Außerdem lese ich gerade wieder einmal in Alltägliche Abgründe - Reportagen von Jana Simon -, und in Hier und dort. Neulich vor langer Zeit. Erzählungen aus der DDR 1970-1990.

Ebenfalls vor einiger Zeit angefangen: John von Düffel Vom Wasser, das Lieblingsbuch einer anderen Freundin. Sprachlich sehr schön, aber leider arm an Dialogen (der Mann ist Theaterautor!), deshalb bin ich vorerst auf Seite 64 hängen geblieben. Wird wohl einen Neustart erfordern.

Ich bin nicht nur Parallelleserin, sondern auch noch eine von der schrecklichen Sorte. Soll heißen, dass ich für gewöhnlich das Ende lese, bevor ich so weit bin. Meine jüngere Schwester hasst das und bekam früher Zustände, wenn sie es mitbekam, aber das hat mich nie davon abgehalten. Meistens lese ich immerhin Dreiviertel des Buches, bevor ich es tue. Entgegen der weitverbreiteten Annahme wird das Buch dadurch nicht weniger spannend, ich genieße um so mehr den Aufbau. Es gibt natürlich auch Bücher, da muss ich vorblättern, um zu sehen, ob es überhaupt noch lohnt, weiterzulesen. Das sind die Bücher, die nicht so recht in Schwung kommen oder gar langweilig sind (ich sag nur Strategie, was für ein blödes Buch). Ein großartiges Ende ist übrigens Hemingway in Fiesta gelungen, ein fabelhafter letzter Satz, wohingegen der erste Satz dieses Buches ziemlich öde ist.

6. Welche fünf Bücher nähmst Du mit auf eine einsame Insel?

Immer im Gepäck habe ich ein kariertes DinA 5-Heften zum vollkritzeln. Kariert ist klasse.

Von meinen Büchern nähme ich die Tucholsky-Gesamtausgabe und die Gesammelten Werke von Paul Celan mit. Einen Thriller von Anthony Price, hm, schwierige Entscheidung, vielleicht Geister von morgen. Wo sonst bekommt man das England der ausgehenden 1970er, IRA, Geheimdienst, ein düsteres Märchen und nebenbei noch die Tolkien-Forschung serviert? Ebenfalls einpacken würde ich von Tony Hillerman Skinwalkers. Navajos und Hexerei, alles in einem Krimi, wunderbar. Für Aufenthalte auf einsamen Inseln völlig sinnlos, aber von hohem Unterhaltungswert für meine Phantasiereisen: Ein ADAC-Maxiatlas Deutschland, Maßstab 1:150.000. Der letzte darin aufgeführte Ort heißt übrigens Zwota und liegt in Sachsen, zwischen Elster- und Erzgebirge, unweit der Grenze zu Tschechien. Sehen Sie, wieder etwas gelernt!

Tucholsky und Celan zählen jeweils als eins, sind schließlich alles Taschenbücher. Außerdem gehöre ich zu den schrecklichen Lesern, da ist das ja wohl klar, dass ich mich auch hierbei nicht an die Regeln halte. Oder braucht’s eine astro-technische Begründung? Demnach dürfte ich eigentlich zehn Bücher mitnehmen (Giorgio Bassani Die Brille mit dem Goldrand und Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz von Fruttero & Lucentini wären dann vielleicht auch dabei.)
Und was soll ich eigentlich auf einer einsamen Insel?

Am besten schaffe ich das Stöckchen jetzt 'mal außer Landes: Zum einen werfe ich es dem Geist des russischen Anarchisten zu (in der Hoffnung, dass das Ding kein Bumerang ist), zum anderen dem Herrn, der in London lebt (keine Ahnung, ob er diese Listen überhaupt leiden kann, aber schließlich wohnte ich auch einmal ein paar Monate dort, darum). Und schließlich noch zu frau_wundersam, die zwar nicht im Ausland, aber auch in einer schönen Stadt lebt und bislang noch Nichts zugeworfen bekam (dabei hat sie zwei sehr schöne Fotos in meinem liebsten Fotoblog gepostet).

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Donnerstag, 19. Mai 2005
La Dolorosa

There’s a little black spot on the sun today
That’s my soul up there

- The Police: King of pain -

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wo es einem überall gleichzeitig wehtun kann. Selbst schuld, ich war ja gewarnt.
Trotzdem kommt es mir jetzt äußerst ungelegen.

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Dienstag, 17. Mai 2005
Alice doesn't live here anymore

You say we're not responsible
But we are, we are

- Ana Johnsson: We are -

Ich kann nicht sagen, dass ich sie gut gekannt habe, die Frau, deren Tod ich nicht verhindern konnte.

Nie erwiderte sie meinen Gruß, wenn wir uns im Hof begegneten. Das Wenige, was ich von ihr weiß, hat mir die Nachbarin von gegenüber erzählt, nachdem die beobachtet hatte, wie ich das Spielzeug der beiden Kinder vom Weg aufhob, damit es niemand im Dunkeln zertritt. Der Ex-Mann wäre ein Tyrann gewesen. Hat sie eingesperrt, war immer wie Gefängnis. Älter wäre er auch gewesen, aber sie hätte sich schließlich scheiden lassen und ein Studium begonnen. Früher hätte sie öfter mit ihr, der Nachbarin, gesprochen, aber jetzt sie redet mit niemand mehr. Wahrscheinlich hatte sie es nicht leicht, trotzdem ärgerte ich mich im Stillen etwas, als sie bei unserer letzten Begegnung wenige Tage vorher mich einmal mehr nur stumm anstarrte.

In jenem Jahr verlief mein Leben mittwochs sehr regelmäßig, stets kam ich abends um kurz vor sieben Uhr nach Hause, nur ausgerechnet an jenem Abend nicht. Ich hatte alle Verpflichtungen sausen lassen, war einfach für ein paar Tage fortgefahren. So sah ihn keiner vor der Tür stehen, bemerkte niemand ihre Angst, als sie um kurz vor sieben Uhr nach Hause kam, wo er schon mit dem Messer auf sie wartete. Ich hörte erst das Weinen ihrer Schwester, drei Tage später, unten im Hof.

Assassino, assassino.

Ihre Rufe, ihr Schluchzen hallten lange Zeit nach in meinem Kopf.
In dem Zimmer, in dem sie starb, schläft heute ein kleiner Junge. Nachts brennt dort oft eine kleine Lampe, wahrscheinlich fürchtet er sich im Dunkeln.

Ihr Name war Elisa. Sie wurde 25 Jahre alt.

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Dienstag, 17. Mai 2005
Der kleine Luxus (I)
Allein schlafen zu können. Sich kein Zimmer teilen zu müssen, sondern nur dann, wenn man es möchte.

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