Donnerstag, 28. April 2005
Die Häuser der Puppen
Um möglichst viele Vorwände für sexuelle Darstellung zu garantieren, spielen zahlreiche der italienischen und französischen Exploitationfilme in Bordell-Camps, in denen die meist weiblichen Gefangenen ihren Aufsehern und Kapos zu "Liebesdiensten" zur Verfügung stehen müssen. Hier kommt es oft zu der unwahrscheinlichen Situation, daß sich SS-Leute wahllos mit Gefangenen "amüsieren", was ihnen aus "eugenischen" Gründen strikt untersagt war. Der Phantasie des Exploitationfilmers scheinen keine Grenzen gesetzt: Es kommt zu lesbischen Beziehungen (Deportate), Beziehungen zwischen Wachtposten und Häftlingsfrau (SSadi Kastrat Kommandantur), zu sadomasochistischen Happenings (Train spécial) und Massenvergewaltigungen (Ultima Orgia). In Salon Kitty und KZ 9 kommt auch erzwungener Beischlaf mit körperlich bzw. geistig behinderten Menschen vor.

- Marcus Stiglegger: Sadiconazista -
Stereotypisierung des Holocaust im Exploitationkino
-

Unwahrscheinliche Situation... Ach ja?

Jeden Tag, pünktlich um zwei Uhr, kamen deutsche Soldaten aus den umliegenden Garnisonen. Sie waren unterwegs zur russischen Front und vergnügten sich mit den Mädchen vom Puppenhaus. Die Mädchen mussten alles geben, um ihre hochgeschätzten Gäste zu befriedigen. Ein Gast, der nicht zufrieden war mit dem "Vergnügen", konnte dies im Hinausgehen bei der Aufsicht melden. Er brauchte nur die Nummer auf der Brust des Mädchens anzugeben. Nach drei "Meldungen" war das Mädchen automatisch zum Tod verurteilt: Sie hatte sich der Ehre, die ihr zuteil geworden war, nicht würdig erwiesen. Sie hatte einen deutschen Krieger lächerlich gemacht.

- Ka-Tzetnik 135633 (eigentlich Yehiel De-Nur): Das Haus der Puppen -

De-Nur überlebte zwei Jahre Auschwitz, seine Schwester nicht. Sie war dort zunächst in die "Abteilung Arbeit" selektiert, dann aber in die "Abteilung Freude" geschickt worden. Auf ihren Tagebuchfragmenten basiert dieses Buch, das 1956 auf Englisch erschien und weltweit über fünf Millionen mal verkauft wurde.

Doch auch für den KZ-Häftling war gesorgt.

Für notwendig halte ich allerdings, daß in freiester Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.

- Heinrich Himmler -

So erzählte Jorge Semprun in Was für ein schöner Sonntag auch vom Lagerbordell in Buchenwald. Nannte sogar die Namen der Frauen. Zwei Reichsmark kostete ein Besuch im KZ-Bordell. Das berichtete der ehemalige Buchenwald-Häftling Eugen Kogon in seinem Buch Der SS-Staat.

Und Sie glaubten, nur der Phantasie der Exploitationfilmer seien keine Grenzen gesetzt, Dr. Stiglegger? Dass Ihre dafür nicht ausreichte, ehrt Sie - als Filmwissenschaftler hätten Sie das jedoch nachrecherchieren müssen. Die Quellen waren mittlerweile vorhanden, Christa Pauls Buch Zwangsprostitution - staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus (Edition Hentrich, 1994) erschien fünf Jahre vor Ihrem Buch, sieben Jahre vor Ihrem Vortrag, auf dem Ihr Artikel im Ikonenmagazin basiert.

Christa Paul und Reinhild Kassing haben mit Überlebenden dieser Lagerbordelle gesprochen, eine von ihnen, die 1990 in Hamburg starb, kommt in dem Hörfunkfeature Frontbordelle. Die Nazis und die Prostitution von Tita Gaehme zu Wort.

Ach ja: Was es mit den koreanischen "Comfort Women" in japanischen Lagern auf sich hatte, und wie die meisten von ihnen zu Tode gekommen sind, das recherchieren Sie jetzt aber bitte selbst. Google genügt.

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Dienstag, 26. April 2005
Long time no see

Oh how do you remember
Me the one that made
You laugh until you cried
I hope you’re feeling happy now.

- Skunk Anansie: Hedonism -

Nachdem Du nicht mit mir glücklich werden wolltest, hatte ich irgendwann gehofft, Du würdest es wenigstens ohne mich.

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Montag, 25. April 2005
Year of Sunday
We all live in the Year of Sunday, so many things are in store for us.
Oh what a gift to be born in Sunday's beautiful light way down here in the dusk.

- James Seals & Dash Crofts: Year of Sunday -

Ich kam an einem Sonntag zur Welt. Sonnig und warm soll es gewesen sein, und pünktlich zum Feiertag blühten die Paeonien. „Sonntagskinder haben Glück im Leben“, heißt es. Meine Dienstagsschwester hat mich früher immer darum beneidet, denn fast jeder sagte mir, dass ich das geborene Glückskind sei. Das hörte ich so häufig, dass ich es selbst zu glauben begann. Mitunter verließ ich mich regelrecht auf mein sprichwörtliches Glück.
Es hat mich nie enttäuscht.

Selbst das vermeintliche Unglück erwies sich im Nachhinein oft als Glück. Der Mann, der mich verließ, der Job, den ich nicht bekam, die Freundschaft, die zerbrach? Mit dem notwendigen Abstand betrachtet kann ich nur sagen: Gut so.

Was immer mir auch widerfahren ist, ich habe dennoch in meinem Leben bisher viel Glück gehabt. Ich bin fürwahr ein Sonntagskind.

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Samstag, 23. April 2005
Nocturnal me

Oh, take me internally
Forever yours
Nocturnal me
Take me internally
Forever yours
Nocturnal me.

- Echo & The Bunnymen: Nocturnal me -


Mein Bett ist sehr schmal. Das hat mir schon manch unliebsame Erklärung erspart, warum der ein oder andere es nicht mit mir teilen, geschweige denn zum Frühstück bleiben konnte. Mal ganz abgesehen davon, dass man schon sehr verliebt sein muss, um in dem Bett mit mir die ganze Nacht verbringen zu wollen.

Der mit den grünen Augen blieb jedesmal, ich hatte auch nie den Wunsch, ihn fortzuschicken, obwohl ich gern alleine schlafe. Meinen Schlaf zu stören, ist leicht, doch er tat es nie. In seinen Armen konnte ich schlafen - wer jemals stundenlang den Atemzügen eines anderen gelauscht hat, weiß, was das bedeutet. Die ganze Nacht hielt er mich umfangen, ohne mich einzuengen. Selbst im Schlaf reagierte er auf meine Bewegungen, vollzog sie nach, wenn ich aus einem Traum hochschreckte oder mich auf die andere Seite drehen wollte. Ließ mich nicht einmal dann los, so dass ich manchmal vorsichtig seinen rechten Arm unter meinem Kopf wegnahm, damit er sich nicht verrenkte. Drehte ich mich erneut um, fand sein anderer Arm mich wieder und hielt mich fest. Nie habe ich so gut geschlafen, wie an seiner Seite.

Noch Jahre später, wenn ich nachts neben einem anderen wach lag und ins Halbdunkel des fremden Zimmers schaute, verspürte ich Sehnsucht. Nicht nach ihm, sondern nach diesem Gefühl.

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Freitag, 22. April 2005
La voix humaine
In vielen Nächten hörte ich ihm zu. Mit schönen Worten erzählte er oft Schreckliches. Wie gebannt hörte ich ihm zu, obwohl ich es manchmal nur schwer ertragen konnte
Beinahe immer gab es einen Satz, der mich nicht losließ. Der mich in den nächsten Tag begleitete, mich manchmal geradezu verfolgte. Frühmorgens ging ich dann an den Fluss hinunter, versuchte ihm zu entkommen, diesem Satz, den doch weder der Gesang der Nachtigall noch der Ruf der Graugänse übertönen konnte. Der mir oft genug die Tränen in die Augen trieb. Manchmal hätte ich mir am liebsten die Ohren zugehalten und gerufen: „Hör auf!“ und „ich habe das nicht wissen wollen.“

Stattdessen gab ich mich in der nächsten Nacht wieder dem Klang seiner Stimme hin, stets fürchtend, er könnte plötzlich verstummen.

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Mittwoch, 20. April 2005
Ring, ring
When life is a loop, you’re in a room without a door.

- The Notwist: Pick up the phone -

Als ich ein Teenager war, bekamen wir immer diese Anrufe. Wenn man ans Telefon ging, hörte man nur jemanden atmen. Nie sagte die Person am anderen Ende etwas. Einmal bin ich eine Stunde lang dran geblieben, habe zurückgeschwiegen, nur um zu sehen, wie lange der andere es aushält.
Jahrelang ging das so. Jahrelang. Selbst dann noch, als wir längst wussten, wer es ist. Und warum.

Geblieben ist mir aus dieser Zeit ein mittelprächtiges Unwohlsein, wenn ich meinen Anrufbeantworter abhöre und der nur ein Klicken aufgezeichnet hat. Heute zeigte er sieben Anrufe an. Fünfmal aufgelegt.

Trouble that we’ve come to know will stay with us.

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Der Gesegnete
Ich mag meinen Vornamen, müsste ich mich umnennen, wüsste ich gar nicht, wie ich heißen wollte. Sowas will schließlich gut überlegt sein. Darum frage ich mich gerade, wann fängt eigentlich einer, der Papst wird, an, über seinen neuen Namen nachzudenken? Erst nach der Wahl, wenn er das päpstliche Gewand überstreift? Ist das eine spontane Eingebung? Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen...* Reicht denn dann noch die Zeit, um schnell durchzuzählen, der wievielte Papst dieses Namens man ist? Päpste sind ja in der Regel nicht übermäßig originell und wählen einen Namen, der schon einmal da war. Ok, ok, Papst Kevin I. klänge auch zu dämlich.
Oder trägt man diesen Gedanken schon länger mit sich herum, sagen wir mal, seit dem Zeitpunkt, an dem man in die Kurie berufen wird? Oder gar noch tiefer auf der klerikalen Karriereleiter, wenn man ehrgeizig ist? Gibt’s das, Berufswunsch: Papst?

Wie auch immer, ich fände es ganz schön, wenn sich jetzt alle mal wieder einkriegten, dass jener ein Deutscher ist. Das ist doch keine WM da, es handelt sich auch nicht um Olympische Spiele mit dämlichen Medaillenranking. Und wir sind auch nicht alle Papst, ich schon mal sowieso nicht, ich Protestantin.

* (Jesaja 43, Vers 1b, wer’s wissen will.)

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