Samstag, 20. Januar 2007
В ресторане
Zwei Tage später holte uns Taron wieder mit seinem Auto ab. Er und sein bester Freund wollten uns zum Essen einladen, diesmal nichts Geschäftliches, sondern zum Vergnügen. Wir fuhren eine Weile über die unendlich breiten Straßen, damals herrschte in Moskau noch wenig Verkehr. Den Namen des Restaurants weiß ich nicht mehr, aber an Maschas überraschter Reaktion merkte ich, dass das eine der besseren Adressen war.* Ich erinnere mich noch an viel Stuck und Kronleuchter, kleine Vierertische standen in einem großen Saal.
Bevor wir in den Saal hineingingen, raunte mir Mascha noch leise ins Ohr: Mach Dir nichts aus den bösen Blicken, die wir wahrscheinlich ernten werden. Man wird uns für Prostituierte halten.
Wieso?, fragte ich. Dein Lippenstift ist nicht rot, und ich trage heute sogar Hosen.
Trotzdem, sagte sie leise und traurig. Weil Taron und sein Freund Armenier sind.
Bevor wir in den Saal hineingingen, raunte mir Mascha noch leise ins Ohr: Mach Dir nichts aus den bösen Blicken, die wir wahrscheinlich ernten werden. Man wird uns für Prostituierte halten.
Wieso?, fragte ich. Dein Lippenstift ist nicht rot, und ich trage heute sogar Hosen.
Trotzdem, sagte sie leise und traurig. Weil Taron und sein Freund Armenier sind.
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Mittwoch, 17. Januar 2007
Hotel Kosmos

Nimm Deinen Pass mit, forderte mich meine Freundin Mascha auf. Vielleicht brauchen wir ihn, um hinein zu kommen. Denn falls sie etwas sagen, wedele ich mit meinem UPDK-Ausweis und Du musst dann ein wichtiges Gesicht machen. Ich erzähl’ denen, Du seiest ein wichtiger ausländischer Gast, den ich betreue.
Ich musste dann aber meinen grünen Pass doch nicht vorzeigen, Mascha selbst trat wichtig genug auf, um am Schwejzar des Hotels Kosmos vorbeizukommen. Vor jedem Hotel stand damals so ein Schwejzar, der mit sowjetischer Höflichkeit kontrollierte, wer hinein wollte. Hotelgäste bekamen ein Kärtchen mit Namen und Zimmernummer, das sie jedes Mal ausgehändigt bekamen, wenn sie die Zimmerschlüssel abgaben. Und abgeben musste man sie, dafür wurde schon gesorgt. Außerdem diente diese Karte als Passersatz, denn der wurde für die Dauer des Hotelaufenthalts von den Gästen einkassiert.
Im Hotel Kosmos waren wir mit einem guten Freund von ihr verabredet, Taron, einem sehr netten Armenier, der mich schon ins Theater geführt hatte und mir zudem Karten fürs Bolschoi Ballett geschenkt hatte, die es so nicht zu kaufen gab. An jenem Abend wollte er noch einen Geschäftsfreund mitbringen. Mascha lag viel an dem Treffen, hoffte sie doch auf geschäftliche Informationen oder Kontakte, ich würde für den Abend das schmückende Beiwerk geben, damit die Zahl aufging. Geschäfte zu machen, irgendwie zu Geld zu kommen, war wichtig in Moskau im August 1990, als die Läden leer waren und es oft nur wenig zu essen gab.
Taron und sein Begleiter waren noch nicht da, also setzten wir uns in einer der plüschigen Sitzecken im Foyer. Hinter unserem Rücken lungerten ein paar einzelne Herren in dem sonst leeren Foyer herum. Ausländische Geschäftsleute, der Kleidung nach zu urteilen aus dem Westen. Nun ja, das Hotel war nicht gerade billig. Zwei von ihnen sprachen leise miteinander, es klang skandinavisch. Oh Ptitschka, sagte Mascha leise kichernd zu mir, ich glaube, die halten uns für Prostituierte, weil wir alleine hier sind. Wahrscheinlich überlegen sie gerade, wie sie uns ansprechen sollen. Ich lachte und antworte absichtlich etwas lauter: Die sollen nur kommen, denen erzähle ich was. Es kam dann doch keiner, vielleicht hatten sie an meinem britisch gefärbtem Englisch erkannt, dass sie eine Frau aus dem Westen vor sich hatten, vielleicht war aber auch nur unsere Verabredung noch rechtzeitig genug eingetroffen.
Wir speisten in einem der Hotel Restaurants. Es war ziemlich düster, sonst ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben. Mein Russisch war zu schlecht, um der Unterhaltung folgen zu können, aber ich gab mir alle Mühe, dekorativ auszusehen. Anschließend fuhren wir noch nach oben in den Business Club, von dem mir Mascha gesagt hatte, dass er exklusiv und teuer wäre und bei russischen Geschäftsleuten sehr beliebt. Es waren fast nur Männer dort, vereinzelt waren auch ein paar Frauen zu sehen, die an der Bar saßen. Taron sah die vielen Männer an, schaute dann zu den Frauen mit den rot geschminkten Lippen und bemerkte trocken: Oh, sie haben viel zu tun heute Nacht.
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Montag, 15. Januar 2007
"Abteilung Freude"
In den Anfangstagen dieses Blogs schrieb ich einmal über das, was sich mancher Wissenschaftler nicht vorstellen konnte: sexuelle Zwangsprostitution in KZs.
In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eröffnete heute die Ausstellung Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern. Dazu gibt es auch ein Interview des Deutschlandradios. Die Ausstellung dauert bis zum 30. September 2007.
In der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eröffnete heute die Ausstellung Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern. Dazu gibt es auch ein Interview des Deutschlandradios. Die Ausstellung dauert bis zum 30. September 2007.
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Donnerstag, 11. Januar 2007
Mitten im Leben
Vor ein paar Tagen hörte ich im Küchenradio eine Sendung, in der sagte einer sinngemäß, dass jemand mit 35 Jahren schon die erste Hälfte seines Lebens hinter sich hätte. An den Zusammenhang erinnere ich mich jetzt nicht mehr, aber ich weiß, dass ich einen Moment inne hielt und dachte: Was ein seltsamer Gedanke – mit 35 Jahren hat man doch noch nicht Hälfte erreicht … ich jedenfalls nicht. Unbewusst gehe ich wohl davon aus, erst Ende 40 die Lebensmitte erreicht zu haben. Gewiss, mir kann morgen ein Blumentopf auf den Kopf fallen oder ein Laster mich überfahren, aber mit so was rechnet ja niemand, auch ich nicht. Ich habe einfach das Gefühl, ein hohes Alter zu erreichen. Vielleicht, weil meine schlesische Urgroßmutter 95 Jahre alt wurde, und auch meine Großmutter wurde 88, dabei war sie herzkrank. Meine Großtanten väterlicherseits erreichten ein ähnliches Alter, dabei haben die seit ihrer Jugend gequalmt wie die Schlote, übrigens starb keine an den Folgen. Die jüngste von ihnen feierte im Herbst ihren 98. Geburtstag und raucht immer noch. Und da ich vor bald 14 Jahren damit aufgehört habe, sollte ich so was ähnliches ja wohl auch schaffen, jawohl.
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Dienstag, 9. Januar 2007
In der Nähe so fern
In diesem Jugendstiltraum von Bahnhof, standen die beste Freundin und ich und suchten nach einem Zug nach Breslau. Doch auf dem Fahrplan gab es kein Breslau, überhaupt existierte Polen darauf nicht, ganz so, als endete die Welt da unten an der Neiße, wo direkt am gegenüberliegenden polnischen Ufer eine paar alte, bonbonfarbene Häuser standen, hinter denen Plattenbauten emporragten. Zwischen den Ufern die Altstadtbrücke stand schon lange nicht mehr, gesprengt, wie so viele kurz vor Kriegsende.
Die müssen doch von hier irgendwie mit dem Zug nach Breslau kommen, so weit ist das doch gar nicht, wunderte sich die beste Freundin.
Lass uns an der Info fragen, schlug ich vor.
Die beiden Damen waren sehr freundlich. Nein, von hier ginge kein Zug nach Breslau, aber wahrscheinlich vom Bahnhof auf der anderen Seite in Zgorzelec. Wie wir denn dahin kämen, wollten wir wissen.
Da fahren Sie über die Autobrücke, sagte die ältere der beiden, die ich auf Ende 40 schätzte.
Wir haben leider kein Auto, entgegnete ich, fährt nicht auch irgendein Bus hinüber?
Das weiß ich leider nicht, entschuldigte sie sich, ich war ja noch nie drüben. Weißt Du, ob es einen Bus dahin gibt?, wandte sie sich an ihre jüngere Kollegin.
Es könnte sein, dass einer am alten Postamt abfährt, antwortete die Enddreißigerin. Aber ganz sicher bin ich mir nicht, ich war auch noch nie dort.
Aber wir haben eine Kollegin, die war schon mal da, sagte die erste fast ehrfürchtig. Gell, die Heike, die ist doch schon einmal nach Zgorzelec rübergefahren?
Ihre Kollegin nickte. Ja, die war einmal drüben. Ist schon ein paar Jahre her.
Wir bedankten uns und machten uns auf die Suche nach der Bushaltestelle. Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz mussten wir dann doch ein bisschen lachen.
Mein Gott, meinte die beste Freundin, so wie die das sagten, klang es mindestens wie eine Expedition in den Himalaya.
Das war im Mai 2004. Polen war wenige Tage zuvor der EU beigetreten.
Die müssen doch von hier irgendwie mit dem Zug nach Breslau kommen, so weit ist das doch gar nicht, wunderte sich die beste Freundin.
Lass uns an der Info fragen, schlug ich vor.
Die beiden Damen waren sehr freundlich. Nein, von hier ginge kein Zug nach Breslau, aber wahrscheinlich vom Bahnhof auf der anderen Seite in Zgorzelec. Wie wir denn dahin kämen, wollten wir wissen.
Da fahren Sie über die Autobrücke, sagte die ältere der beiden, die ich auf Ende 40 schätzte.
Wir haben leider kein Auto, entgegnete ich, fährt nicht auch irgendein Bus hinüber?
Das weiß ich leider nicht, entschuldigte sie sich, ich war ja noch nie drüben. Weißt Du, ob es einen Bus dahin gibt?, wandte sie sich an ihre jüngere Kollegin.
Es könnte sein, dass einer am alten Postamt abfährt, antwortete die Enddreißigerin. Aber ganz sicher bin ich mir nicht, ich war auch noch nie dort.
Aber wir haben eine Kollegin, die war schon mal da, sagte die erste fast ehrfürchtig. Gell, die Heike, die ist doch schon einmal nach Zgorzelec rübergefahren?
Ihre Kollegin nickte. Ja, die war einmal drüben. Ist schon ein paar Jahre her.
Wir bedankten uns und machten uns auf die Suche nach der Bushaltestelle. Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz mussten wir dann doch ein bisschen lachen.
Mein Gott, meinte die beste Freundin, so wie die das sagten, klang es mindestens wie eine Expedition in den Himalaya.
Das war im Mai 2004. Polen war wenige Tage zuvor der EU beigetreten.
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Freitag, 5. Januar 2007
Draußen spielen
Heute ist der dritte, und ich habe nur noch fünf Euro auf dem Konto, erzählt mir die Nachbarin von gegenüber. Internet und Telefon sind abgestellt, weil ich die Rechnung nicht bezahlen konnte. Ihre Hand wedelt in die Richtung eines ordentlich gestapelten Packens Briefumschläge. Da liegen die anderen, ich mache sie schon gar nicht mehr auf, ich kann sie sowieso nicht bezahlen. Die verdammten Nachzahlungen für Strom und Gas haben mir das Genick gebrochen. Früher mit der Sozialhilfe ging das noch immer irgendwie, aber seit Hartz IV habe ich dauernd Probleme. Gibt Dir denn das Amt kein Darlehen dafür?, frage ich. Haben sie ja schon, jetzt zahle ich jeden Monat 120 Euro zurück.
Ihre Tochter kommt zu uns in die Küche, mein Leihkind, das mich manchmal besuchen kommt und mit mir Galgenmännchen spielt. Mama, ich möchte mich mit Helena verabreden, darf ich? Ja, sagt meine Nachbarin. Hier, nimm das Handy, auf der Karte ist noch etwas drauf. Aber denk dran, wenn Ihr Euch hier trefft … Sie zögert, bevor sie weiterspricht. Du weißt, der Kühlschrank ist leer, ich kann Euch nichts zu essen machen.
Ist gut, Mama, antwortet das Mädchen. Wir wollten eh rausgehen.
Als wir wieder allein sind, schaut mich meine Nachbarin niedergeschlagen an. Ich weiß bald nicht mehr, was ich machen soll, sagt sie leise. Beim Supermarkt da vorne hatte ich einen Zettel an der Tür gesehen: Aushilfe für zehn Stunden in der Woche gesucht. Ich habe mich gleich beworben, aber die wollten mich nicht. Aus betriebsbedingten Gründen. Ihre Stimme klingt bitter, als sie die üblichen Phrasen aus der Absage zitiert. Was ist denn an mir verkehrt? Guck Dir doch ’mal die anderen an, die dort arbeiten. Selbst die 16-jährige Martina haben sie genommen, und die ist echt nicht besonders helle. Als ich die an der Kasse sitzen sah, bin ich heulend aus dem Laden heraus.
Ich schaue meine hübsche, junge Nachbarin an und weiß auch nicht, was an ihr verkehrt sein soll.
Vorhin war ich kurz einkaufen. Der Zettel hängt noch da.
Ihre Tochter kommt zu uns in die Küche, mein Leihkind, das mich manchmal besuchen kommt und mit mir Galgenmännchen spielt. Mama, ich möchte mich mit Helena verabreden, darf ich? Ja, sagt meine Nachbarin. Hier, nimm das Handy, auf der Karte ist noch etwas drauf. Aber denk dran, wenn Ihr Euch hier trefft … Sie zögert, bevor sie weiterspricht. Du weißt, der Kühlschrank ist leer, ich kann Euch nichts zu essen machen.
Ist gut, Mama, antwortet das Mädchen. Wir wollten eh rausgehen.
Als wir wieder allein sind, schaut mich meine Nachbarin niedergeschlagen an. Ich weiß bald nicht mehr, was ich machen soll, sagt sie leise. Beim Supermarkt da vorne hatte ich einen Zettel an der Tür gesehen: Aushilfe für zehn Stunden in der Woche gesucht. Ich habe mich gleich beworben, aber die wollten mich nicht. Aus betriebsbedingten Gründen. Ihre Stimme klingt bitter, als sie die üblichen Phrasen aus der Absage zitiert. Was ist denn an mir verkehrt? Guck Dir doch ’mal die anderen an, die dort arbeiten. Selbst die 16-jährige Martina haben sie genommen, und die ist echt nicht besonders helle. Als ich die an der Kasse sitzen sah, bin ich heulend aus dem Laden heraus.
Ich schaue meine hübsche, junge Nachbarin an und weiß auch nicht, was an ihr verkehrt sein soll.
Vorhin war ich kurz einkaufen. Der Zettel hängt noch da.
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