Sonntag, 26. Juni 2005
Sela
Der sonntägliche Kirchgang war mir früher eine Selbstverständlichkeit, heute schaffe ich das nur noch eher selten. Denn dort, wo ich aufwuchs, begann der Gottesdienst erst um halb elf Uhr. Er dauerte eine Stunde, die Predigt nie länger als zehn bis zwölf Minuten, was vollkommen ausreichte, um Wichtiges zu sagen, es sollte sich ja niemand langweilen, außerdem waren ja noch vier bis fünf Lieder und allerlei Liturgisches zu singen.
Dass andernorts der Gottesdienst meistens bereits um zehn Uhr beginnt, daran habe ich mich später irgendwie nie gewöhnen können, mein sonntäglicher Rhythmus ist immer noch ein anderer. Nicht, dass ich nicht früh genug wach würde, auch heute weckten mich gegen sechs Uhr die Vögel, zwei Stunden später stand ich auf, in der Kirche war ich trotzdem nicht. Aber es gibt ja auch Sonntagsgottesdienste im Radio, und selbst im Web lässt sich so manche Predigt nachlesen. So fand ich eben wieder manches wahre Wort: Man muß sich eine Niederlage auch einmal eingestehen können, las ich beispielsweise, und:
Für irgendwas ist alles irgendwie gut. So gesehen, muß man im Leben nicht darauf achten, keine Fehler zu begehen, sondern darauf achten, daß die Fehler nicht zu lange dauern.

Das bewege ich dann heute 'mal in meinem Herzen.

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Die Predigt
fand ich immer das einzig interessante - denn das war die einzige Chance im ganzen Gottesdienst, irgendeinen Satz zu hören, den man nicht schon hunderttausendmal gehört hat...

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"Für irgendwas ist alles irgendwie gut."

meine von meinen eltern oktroyierten sonntäglichen kirchgänge waren zumindest dafür gut, dass ich die bayrisch katholische kirche für extrem leidenschaftslos befand und austrat. erst während des gottesdienstes dann aus der kirche.

blasphemisch am tag des herrn. b.

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Da befinden Sie sich in guter Gesellschaft - mir scheint, die Blogosphäre ist voll mit Ex-Katholiken und Skorpionen*. ;-)

Jener Satz ist natürlich im Zusammenhang mit dem vorherigen zu sehen.

* Einige Blogger sind sogar beides.

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Ja, leider kein Einzelfall!
Wobei ich streng genommen ja immer noch Mitglied bin und somit kein Ex-Katholik.

Aber den sonntäglichen Zwang im Elternhause habe ich auch nicht gerade in bester Erinnerung. Vielleicht würde ich ohne diesen biographischen Faktor manches in einem milderen Licht sehen...

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Sie zählen zu der anderen Gruppe. :-)
Zwang ist in der Regel kontraproduktiv.

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Ich hab zumindest noch versucht, der Sache inhaltlich eine Chance zu geben. Ich bin nicht sofort mit Einsetzen der Pubertät in Vollopposition gegangen, sondern es war eher ein gradueller Prozess, dass mir immer mehr Ungereimtheiten aufstießen, dass mir Glaube und Glaubenslehre nicht mehr die Antworten lieferten auf die Fragen, die mir wichtig waren. Ich denke aber, es war die Auseinandersetzung durchaus wert, trotz allem wollte ich diesen Sozialisationsfaktor nicht missen. Und ich bin immer noch sehr interessiert in Religionsdingen...

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Ich höre den Gottesdienst mittlerweile auch nur noch im Radio. Es ist interessant, die Unterschiede zu bemerken in Inszenierung und Präsentation. Da hört man Pastoren, die ums Verrecken nicht predigen können. Aus der Kirche bin ich erst vor ein paar Jahren ausgetreten. Den Ausschlag gab Herr Dyba mit seiner Bemerkung, Pro-Choice-Anhänger seien "geistig verwirrt". Ich möchte letzteres für mich ni cht ausschließen, aber von Herrn Dyba lasse ich mir das nicht sagen.

Er wurde dann ja auch bald von ganz oben abberufen.

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Da hätt ich auch drauf gewettet,
dass Sie katholisch sozialisiert sind, Herr Kid. Ich will ja keiner freikirchlichen Pfingstler-Siebentages-Zweiundfünfig-Wochen-Adventisten-und-Wiedertäufergemeinde ihre Existenzberechtigung absprechen, aber das römisch-katholische Original rockt irgendwie mehr. Und das nicht erst seit der Ratzi-Sepp uns alle zu Papst gemacht hat.

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Herätischerweise hatte ich stets angenommen, dass Herr Dyba derjenige sei, der verwirrt ist, und ihn nicht weiter ernst genommen. In der Gegend gibt es doch auch Politiker, die seltsame Sachen sagen. Vielleicht ist da irgendetwas im Trinkwasser.

Was gute Predigten angeht, so wurden da bei mir schon frühzeitig sehr hohe Maßstäbe gesetzt. Bei Pfarrern, die nicht predigen können, packt mich eine wenig christliche Ungeduld, meine Gedanken fangen dann auch sofort an abzuschweifen. Dann schaue ich mir halt wie früher als Kind die Bilder an. Damals hätte ich ja zu gern auch so ein Paar Flügel gehabt, ich war mir allerdings nicht sicher, ob das ginge, auf den Gemälden hatten immer nur Männer Flügel. Wenn das also nicht ginge, wollte ich wenigstens auch so eine schöne, goldene Scheibe um den Kopf, die gefiel mir so gut. Einen Mann mit Flügeln könnte ich ja notfalls später vielleicht heiraten, der könnte mich dann mit seinen Flügeln immer zudecken, das wäre bestimmt auch sehr schön, dachte ich. Tja, mit der glänzenden Scheibe, das hat nicht so ganz geklappt, mit dem Männern, selbst mit denen ohne Flügel, irgendwie auch nicht so recht.

Diese Online-Predigten jedoch erfüllen meine rhetorischen Ansprüche durchaus. Dass die, die sie halten, die Inhalte selbst auch nicht immer so unbedingt einlösen können, wer wüsste das besser als ich.
Aber ab und an kann man dann sowas ja auch mal in Erinnerung bringen, wenn es wieder nötig zu sein scheint.

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Ich wäre eigentlich ziemlich gerne katholisch, Dyba hin oder her. Irgendwo einen festen Punkt in den Strudeln zu besitzen, einen Maßstab im fließenden Leben, erscheint mir gerade äußerst attraktiv. Aus irgendwelchen Gründen bin ich der Postmoderne in keiner Weise gewachsen. In den Falten einer, wenn auch vielleicht nur durch Dauer, legitimierten Ordnung sein Gesicht zu bergen - keine unschöne Vorstellung, aber die Tore des Glaubens sind verschlossen, hat man das Paradies durch den Biss in den Apfel der Erkenntnis einmal verlassen.

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So ist es
Es gibt kein Zurück in den Schoß der alleinseligmachenden und verbindlichen Glaubenslehre - nur nach vorn, auf zu immer neuen -ismen. Vom Atheismus über den Pantheismus hin um esoterischen Eklektizismus - und nirgendwo eine neue dauerhaft verankerte weltanschauliche Heimat. Die einzige Konstante für den denkenden Menschen ist der immer wiederkehrende Zweifel. Und doch halte ich es mittlerweile für möglich, zu ein paar grundlegenden Gewissheiten zu kommen. Aber die wollen dem Leben wirklich abgerungen sein, die kann (mir zumindest) kein Guru oder Hohepriester von irgendeiner Kanzel herunter liefern...

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Lange Zeit habe ich mich sehr wohl gefühlt mit meinem (katholischen) Glauben. Irgendwie scheine ich mir dabei aber auch in die Tasche gelogen und gemeint zu haben, alle Verantwortung für das, was mit mir und um mich herum passiert, auf "ihn da oben" abgeben zu können. Erst so nach und nach merke ich, dass Gottvertrauen nur die Grundlage sein kann. Wenn ich die Botschaft (oder das, was ich davon zu verstehen glaube) ernst nehme, müsste ich Verantwortung für mein Leben übernehmen, aufmerksam sein, Hirn und Gefühl einsetzen, Entscheidungen treffen, Neues versuchen. Und das fällt mir nicht leicht.

Um so wütender könnte ich werden, wenn ausgerechnet einige Vertreter dieser (meiner?) Kirche meinen, sie könnten mit ihren selbstgerechten Lehren Einzelnen das Denken und Entscheiden abnehmen, oder wenn sie ihre Aufgabe darin sehen, nicht verstehen und aufbauen zu lernen, sondern zu verurteilen. Gottseidank sind nicht alle so. Und wenn der Pfarrer nicht predigen kann, ist das schade, sicher, aber wäre ja auch traurig, wenn ich wegen dem in die Kirche ginge. Es wird schon so viel geredet überall, auch im Gottesdienst - ich glaube, das, was gebraucht wird, sind vielleicht weniger die guten Worte als vielmehr Stille.

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Da mag was dran sein,
aber für Stille geht ja kein Mensch in den Gottesdienst. Der liturgische Rhabarber-Rhabarber wiederholt sich ewiglich und ohne Unterlass, ergo ist die Predigt die einzige Chance, irgendeinen Zündfunken zu kriegen. Diesen Punkt haben die Evangelischen etwas klarer erkannt.

Wem es hingegen genügt, sich die Birne mit den ewiggleichen Litaneien von Rosenkränzen, Vaterunsern und Ave-Marias weichzumurmeln, oder einfach nur still im Bänklein zu sitzen und dabei Weihrauch- und Kerzengeruch zu schnuppern, der mag daraus seinen Trost schöpfen...

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Ich mache das schon mal mittags, in der Innenstadt. Kurz rein in St. Petri, ein paar Minuten ruhig in der Bank sitzen, ein wenig konzentrieren. Man ist dann für kurze Zeit in einer anderen Wetl, entrückt, vom irre gewordenen Gewusel auf den Einkaufsmeilen drumherum. Manchmal gelingt es mir sogar, einen klaren Gedanken zu fassen.

Heutzutage ist es ja wohlfeiles Stammtischgebrabbel, gegen Glauben zu wettern - so als würde Nicht-Glauben automatisch einen besseren, aufgeklärteren Menschen aus uns machen.

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Stimmt, Herr Kid. Und die, die am lautesten wettern, haben oft die wenigste Ahnung. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich seit etlichen Jahren solchen Diskussionen eher entziehe, ich bin in der Hinsicht früher etwas überstrapaziert worden. Neue Argumente bekomme ich da ohnehin nicht zu hören, kenne auch die Diskussionsverläufe schon.

Für einen kurzen Moment der inneren Einkehr suchen viele Leute auch Autobahnkirchen auf. Manche lassen dann ihre Gedanken in den Büchern da, die dort ausliegen.

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Atheismus
ist ja auch nur ein weiterer -ismus, mithin also genau so ein auf unbewiesenen Prämissen gründendes Glaubenssystem wie auch Deismus, Theismus und Pantheismus und was dergleichen mehr so in den Köpfen herumspuken mag.

Herr Kid hat völlig recht, dass das Nicht-Glauben auch niemanden automatisch zu einem besseren Menschen macht. Und ich sage es nur ungern: Die Evolutionslehre ist auch keine ewiggültige Wahrheit, sondern wie alle Wissenschaft eine Arbeitshypothese, die jederzeit von einer besseren Hypothese widerlegt werden kann, wenn neue Daten oder Erkenntnisse hinzukommen. Das machen sich leider auch die wenigsten klar, die Kreationisten für fundamentalistisch-verblendete Hinterwäldler halten.

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