Sonntag, 24. Februar 2008
Am Krankenbett meiner Mutter
So also wird es später vielleicht einmal sein, dachte ich. So also. Die Operation meiner Mutter war schwer gewesen, und sie kam anfangs nicht wieder zu Kräften. Ganz klein und verloren lag sie in ihrem Bett. In all den Jahren hatte ich meine Mutter noch nie so gesehen, schwach und hilflos. Sie, die immer voller Energie und Tatendrang ist. Und nun entschuldigte sie sich noch fast dafür, wenn sie uns um Hilfe bitten musste. Überaus dankbar für jeden kleinen Handgriff, den wir ihr taten, gar nicht der Rede wert.

So also wird es später vielleicht einmal sein, wenn meine Mutter nicht nur mehr älter, sondern alt geworden ist. Vielleicht werde ich dann wieder Tag für Tag an ihrem Bett sitzen, jedoch ohne die Hoffnung, dass es ihr wieder besser geht. Stattdessen werde ich zuschauen müssen, wie sie immer weniger wird und schließlich stirbt.

Meine Mutter ist jetzt 73. Ihre Mutter starb zwei Tage nach ihrem 88. Geburtstag, ihre Großmutter lebte sogar 95 Jahre. Stets nahm ich an, dass darum auch meine Mutter ein hohes Alter erreicht. Doch selbst wenn - in Wahrheit ist die Zeit, die uns noch bleibt, endlich.

Wie leicht vergesse ich das.

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Sie tun das, was Sie tun können: Dasein. Da kommt es vielleicht auf die Endlichkeit der Zeit gar nicht so sehr an, denn Sie versäumen nichts, was Sie nicht mehr nachholen könnten, wenn es zu spät ist.

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Der Eintrag bezieht sich auf die Wirbelsäulenoperation meiner Mutter Anfang Oktober. Damals habe ich nicht viel geschrieben.

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Ginge es überhaupt, wenn man es nicht zumindest teilweise vergisst? Das werden schwere Jahrzehnte in denen wir nun lernen müssen uns dieses Wissen (vielleicht täglich) in Erinnerung zu rufen. Das Gefühl der bösen Ahnung wird dann tägliche Erfahrung.

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Gewiss, sonst bekommt jedes Wort eine Bedeutungsschwere, die niederdrückend ist, ganz so, wie es Mifasola schrieb. Andererseits vergesse ich es zu leicht, dass meine Eltern älter geworden sind, vergesse, mein Schritttempo ihrem anzupassen oder mit meinem Vater lauter zu sprechen (er glaubt felsenfest, kein Hörgerät nötig zu haben, was nicht nur mich mitunter nervt). Manchmal reagiere ich unduldsam, statt mir zu vergegenwärtigen, dass manches nun vielleicht etwas länger dauert.

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Ja, ich war leider vor zehn Minuten am Telefon auch wieder unduldsam - meine Mutter glaubt, dass eine Mail angekommen ist, wenn am Router eines der grünen Lämpchen blinkt... Ich sollte mich mehr darüber freuen, dass sie sich mit über 70 überhaupt noch an den PC gewagt hat.

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Von der töchterlichen Computer-Hotline meines Vaters gäbe es auch einige Anekdoten zu berichten: "Internet Explorer? Habe ich nicht. Ich habe nur Mozzarella!"

Da die Verständigung - und damit auch die Fehlerdiagnose - oft etwas schwierig war, und solche entnervten und unduldsamen Anrufe häufiger bei meiner jüngeren Schwester landeten als bei mir, hat mein Schwager Kaktus vor geraumer Zeit ein Remote-Programm installiert. In sämtliche Beschreibungen und Erklärungen, die wir unserem Vater zusammengeschrieben haben, schaut er nämlich genauso wenig hinein wie in die beiden Bücher, die er dazu hat. Was nicht am Intellekt, sondern an seiner Faulheit liegt, dazu hat er nämlich einfach keine Lust. Ein Anruf geht schließlich schneller.

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Ich habe nur Mozzarella

Das ist so schön.

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Als ich das hörte, musste ich dann auch lachen, nachdem ich mir zuvor reichlich väterliches Geschimpfe auf die Computertechnik anhören musste, und wir dauernd aneinander vorbeigeredet hatten, weil ich am Telefon ja nicht sehen konnte, was sein Problem war, und er es mir auch nicht wirklich beschreiben konnte.

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Mir ist in so einem Moment mal klar geworden, dass ich tatsächlich sowas wie erwachsen sein muss. Meine Eltern sind nicht mehr das Bollwerk gegen alle Unbill der Welt, können es nicht mehr sein. Die Rollen vertauschen sich, inzwischen haben meine Geschwister und ich eher ein Auge auf sie als sie auf uns.
Und dieses Gefühl für die Endlichkeit habe ich in dem Moment auch gehabt. Aber ständig kann ich das nicht ertragen - es füllt jede Geste, jedes Wort mit einer Bedeutungsschwere, die mich niederdrückt. Aber ich kann seitdem mit meinen Eltern gelassener umgehen und freue mich mehr über Besuche und Telefonate (was kein Widerspruch ist zu den manchmal heftigen gegenseitigen Nervereien).

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Ja, das meinte ich. Sich bewusster daran zu freuen, dass sie noch da sind, denn den größten Teil der gemeinsamen Zeit hat man schon hinter sich.

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"Schenke die Blumen während des Lebens,
denn auf den Gräbern sind sie vergebens."
Das hat meine Mutter immer gesagt, wenn sie mich als Kind mitnahm zu den Besuchen bei den alten Leuten im Ort. Sie besuchte regelmäßig die alten Leute und brachte Alpenveilchen mit. Auch heute macht sie das noch, obwohl sie selbst langsam nicht mehr kann. Wenn einer der Alten gestorben ist, erzählt sie von ihrem letzten Besuch und den fröhlichen Gesprächen, die sie hatten. Das tröstet meine Mutter.
Ich versuche, das bei meinen Eltern genau so zu machen. Wie mifasola oben schon sagt: Irgendwann sind die Kinder für die Eltern verantwortlich und müssen ein Auge auf sie haben. Die "Blumen" sind Anrufe, Postkarten, Besuche; in jedem Fall Zeit und Aufmerksamkeit und Gespräche. Ich stelle fest, dass meine Eltern jünger scheinen, je mehr wir Geschwister sie an unserem Leben und unseren Erlebnissen teilhaben lassen. Auch immer gelassener, was unsere Lebensweisen angeht. Wir versuchen ebenfalls, über ihre "Ticks" hinwegzusehen. Die Auseinandersetzungen und Fehler der Vergangenheit sind vergeben und vergessen. Wir genießen die Zeit, die noch bleibt, in dem Bewußtsein, dass sie endlich ist. Und das ist doch eigentlich ziemlich schön. Oder?

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Ein Grund, warum ich es so leicht vergesse, ist, dass meine Mutter viel jünger aussieht und wirkt als sie tatsächlich ist. Sie vergisst es aber auch manchmal. So sagte sie neulich, als sie mir etwas von einem ihrer drei Gymnastikkurse erzählte, das seien lauter alte Krüstchen. Dann stutzte sie, musste lachen und sagte: Ich bin ja selbst schon älter, aber nicht so. Und ich wusste genau, was sie meinte.

Ich verbringe durchaus gern Zeit mit meinen Eltern und Geschwistern, wenngleich es auch nicht immerzu harmonisch ist, wenn wir alle zusammen sind. Ausgeprägte Persönlichkeiten geraten halt auch 'mal aneinander, wobei das eher zwischen meinem Vater, meiner älteren Schwester Amaryllis und mir passiert, in wechselnden Kombinationen.

Am 19. März sendet Deutschlandradio übrigens von 19.30 Uhr an ein Feature: Wenn die alten Eltern sterben. Das späte Ende der Kindheit.*

Ich habe es mir eben angehört und fand es sehr interessant.

* Link führt zum Manuskript der Sendung.

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