Mittwoch, 16. Januar 2008
Memo an Schirrmacher & Co.
Die Mehrheit der Jugendlichen aus Einwandererfamilien sind weder gewalttätig noch kriminell, sondern lebt hier friedlich und unauffällig - trotz der mehrheitlich schlechteren Startchancen, die sie in Schule und Beruf haben.

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In meiner Nachbarschaft bekomme ich tagtäglich mit, dass Angehörige unterschiedlichster Ethnien bestens miteinander klarkommen. Der türkische Gemüseladen, der zur Zeit des Karrikaturenstreiks plakatierte, dass er dänische Milchprodukte führt, die kurdische Großfamilie, die an der Supermarktkasse ein Schwätzchen mit der befreundeten deutschen Kassiererin hält, bei dem simultan für einen Teil der Familienmitglieder übersetzt wird, oder das türkische Kind, das wiederum von einer Supermarktverkäuferin danach gefragt wird, was es zu Weihnachten bekommen hat, und Mutter erklärt, dass bei Türkens die Geschenke meist Neujahr kommen, wenn man nicht gerade zusammen mit den christlichen Nachbarn Weihnachten feiert, der afrodeutsche Nachbar, der mich beim Einparken einweist und hinterher darüber rumalbert, dass das Einparken wohl schwierig war, weil man Schwarze im Dunkeln so schlecht sieht, das ist das, was ich als Normalität kenne. Diese ganzen medial hochgepushten Gewaltgeschichten hingegen sind von meiner Lebenswirklichkeit her betrachtet das "Außen".

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Diese Gewaltgeschichten passieren hier schon, aber es ist eben eine sehr kleine Minderheit, die so etwas macht. Und über die weiß sogar die hiesige Polizei zu berichten, dass die große Mehrheit daheim tagtäglich Gewalt erlebt. Denn darin unterscheiden sich die jungen Straftäter nicht sehr von einander, egal, ob sie deutsch klingende Nachnamen tragen oder nicht.

Auch ich finde manchmal nach einem langen Tag Multikulti im Bus etwas anstrengend, wenn 'mal wieder einer mit Oriental Pop aus seinem Mobiltelefon den ganzen Bus beschallt. Aber die große Mehrheit der Jugendlichen stellt das auch ab, wenn man sie höflich darum bittet.

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ja, das stimmt.
diese mehrheit fühlt sich gerade garnicht so gut, leider.

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Kein Wunder. Im Feuilleton des Tagesspiegels war übrigens neulich ein interessanter Artikel über dieses M-Wort, "in dem sich auch die vordergründigste Rumrederei noch einrichtet wie in einer begrifflichen Abstellkammer: für alles, was zwischen beflissener politischer Korrektheit und ressentimentgesteuerter Verdächtigung so Platz hat" -
Warum Mario Gomez kein Spanier ist.

Und bei Herrn Schirrmacher frage ich mich schon länger, was den eigentlich umtreibt.

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Was den Schirrmacher umtreibt kann ich Dir sagen. Dem geht es um die Herstellung von Diskurshegemonie, sozusagen die geistige Lufthoheit der Rechtskonservativen. Der geistige Horizont des Vor-68-Westdeutschlands soll als allgemeinverbindlicher Wertekanon verankert werden.

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Hatte der etwa wegen der 68er eine schwere Kindheit? ;-)

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Dazu ist er zu alt. Nein, er ist ein Ideologe der heilen Familie, was er bis zu der Behauptung steigert, dass Singles anfälliger für alles Lebensbedrohliche wären, da sie aufgrund fehlender Familienbande weniger am Leben hängen würden (begründet er u.a. mit der höheren Sterblichkeitsquote von Unverheirateten bei einem Schneesturm, in den ein Siedlertreck im Wilden Westen geraten war). Er glaubt an die konservativen Werte der Kohl-Wende so richtig; vielleicht propagiert er sie auch aus professionellen Gründen, denn er ist Lobbyist der Allianz-Versicherung. Vielleicht sollte man sein Methusalem-Komplott auch unter dem Gesichtspunkt lesen, dass er da über Leute schreibt, für die Versicherungen nicht gerne zahlen wollen. Auf jeden Fall ist er ein Grass-Hasser, überhaupt Gegner der vergangenheitskritischen deutschen Nachkriegsliteratur in den Fußstapfen der Gruppe 47, Anhänger eines stark bevölkerungsbiologischen Welt-und Menschenbildes und eines apokalyptischen Kulturpessimismus in der Tradition von OswaldSpengler und Ernst Jünger. Also zumindest von der Geisteshaltung her ein neuer Rechter, dessen Menschenbild sich außerhalb demokratischer und egalitärer Vorstellungen bewegt.

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Schirrmacher ist Jahrgang 1959, demnach müsste er eigentlich die antiautoritäre Welle noch mitbekommen haben. Für ein Kinderladentrauma ist er da allerdings schon zu alt gewesen, das stimmt.

Das Schneesturmbeispiel ist übrigens ziemlicher Quark.

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Die antiautoritäre Welle habe ich, der ich ein paar Jahre jünger bin,ja auch noch erlebt. Aber meines Wissens ist Schirrmacher in erzbürgerlichen und elitären Verhältnissen aufgewachsen: Privatschule, Jugendchor des Wiesbadener Staatstheaters, ordentlicher Beamtenhaushalt. Da passt ein Kinderladen eigentlich nicht rein. Ich denke eher, dass er einen bildungsbürgerlichen Wohlanständigkeits-Lebensstil, wie er zur Zeit der Manns üblich war, noch als Normalität erfahren hat, unmittelbar, bevor sich dieser aus der gesellschaftlichen Normalität verabschiedete und von daher die Entwicklung unserer Gesellschaft im Wesentlichen als Verfall wahrnimmt.

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Na, so brav waren die da am Wiesbadener Staatstheater damals auch wieder nicht, von 1963 an war Hansgünther Heyme erst Hausregisseur, dann Schauspieldirektor. Die 68er dürften sich auch dort bemerkbar gemacht haben. Schon vorher arbeiteten Fluxus-Künstler in Wiesbaden, dort begannen die Fluxus-Festivals. Und der Vietnamkrieg reichte wegen Airbase und Hospital bis vor die Haustür. Nebenbei bemerkt war auch Wolfgang Grams Statist am Staatstheater, Birgit Hogefeld wuchs ebenfalls in Wiesbaden auf.

Jener Privatschule, die Schirrmacher besuchte, haftete damals übrigens der Ruf an, dass es die letzte Zuflucht für Kinder Wohlhabender war, die es an den regulären Gymnasien nicht packten. Vermutlich dürfte für einige Eltern bei der Schulwahl aber auch eine Rolle gespielt haben, dass die Schule schon damals Ganztagsbetreuung anbot, man mithin die Kinder dort nachmittags prima parken konnte.

Note to myself: Ironie-Tags auf den Einkaufszettel schreiben.

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Ach ja, ich habe von BKA-Hausen wohl ein schiefes Bild. Bei uns nannte man die (architektonisch schöne) Stadt ja immer Wiesausbaden ;-)

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Das M-Wort
Gerade festgestellt: Mein Textverarbeitungsprogramm kennt das Wort Migrationshintergrund nicht und unterkringelt es als Fehler. Womit es irgendwie recht hat.

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