Dienstag, 20. Dezember 2016
Der Tag danach
Am nächsten Morgen erreiche ich den lieben Freund aus Berlin nicht. Im Stillen hoffe ich, dass ihm der Weg zum Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz zu weit war. Eine Viertelstunde später ruft er mich zurück.

Gestern Abend war es schon zu spät, um Dich noch anzurufen, sage ich zu ihm. Ich wollte nur sicher gehen, dass Dir nicht ausgerechnet gestern der Sinn nach Glühwein stand. Doch, antwortet der liebe Freund, ich war da. Für einen kurzen Moment bleibt mir die Luft weg. Dass mir nichts passiert ist, sagt er, verdanke ich nur der Tatsache, dass ich meiner Gesundheit zuliebe vom Büro dorthin gelaufen bin, statt die U-Bahn zu nehmen. Sonst hätte ich in dem Moment schon am Bratwurststand gestanden.

Und Leander*, frage ich, was ist mit Leander? Du warst doch bestimmt mit ihm dort verabredet. Leander, erzählt der liebe Freund, hatte zum Glück beschlossen, dass er vorher nochmals zuhause vorbeigeht, um ein paar Sachen abzulegen. Er war noch in der U-Bahn, als ich ihn anrief und sagte, er solle am besten gleich umdrehen, ich käme dann so schnell es ginge. Ich war dann viel eher daheim, als ich dachte. Die U-Bahn fuhr weiterhin, am Ku‘damm stiegen auch noch lauter Leute aus. Wahrscheinlich wollten viele von denen auch zum Weihnachtsmarkt.

Wie geht es Dir, will ich wissen. Hast Du denn schlafen können gestern Nacht? Ja, sagt der liebe Freund. Ich habe aber auch nicht so viel gesehen. Als ich ankam, habe ich nicht sofort kapiert, was los ist. Ich wunderte mich, dass es so still war. Keine Musik. Dann sah ich, dass Leute weinten und weiter hinten, wo es dunkel war, weil dort der Strom ausgefallen war, lagen Menschen auf dem Boden. In dem Moment kam schon ein Polizist und sagte, ich solle besser gehen, es sei etwas passiert. Ich habe sogar ganz gut geschlafen, da ich die Nacht zuvor kaum ein Auge zugetan hatte. Schlafstörungen haben manchmal doch etwas Gutes.

* Name wie immer geändert

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Was für unglaubliche Zufälle, bloß, weil jemand beschließt, nicht den direkten Weg zu nehmen. Und wie furchtbar, wenn man anfängt, sich zu fragen, warum die einen gerettet wurden und die anderen nicht.

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Ja, das habe ich auch zweimal zum lieben Freund gesagt: Welch glückliche Fügung! Auch dass sich nicht nur er, sondern sich alle beide anders entschieden hatten.

Mit dieser Frage kann man sich in die Verzweiflung treiben.

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