Freitag, 30. November 2007
A Passage from India
Im dünnen Sari stand sie vor der Tür, mitten im November. Es war Buß- und Bettag, wir wollten gerade aufbrechen, meine Großmutter hatte uns zu ihrem Geburtstag eingeladen. Im Flur kramte meine Mutter schon nach ihren Handschuhen, als es klingelte. Ich öffnete die Tür. Draußen stand die fremde Frau im hellgrünen Sari, ohne Jacke, ohne Mantel.

Ich weiß nicht, wie sie den Weg zu uns gefunden hatte, eigentlich wollte sie eine Messe besuchen. Hier gäbe es keine katholische Kirche, sagte ich ihr auf Englisch, was sie sehr bekümmerte. Die nächste fände sich erst im Nachbarort, drei Kilometer entfernt.

Wie sich später herausstellte, stammte sie aus New Delhi. Mit 16 Jahren hatte sie geheiratet, ihr Mann, nur wenige Jahre älter als sie, starb jung, mit 19 war sie schon Witwe. Jetzt war sie 27, arbeitete als Telefonistin und träumte von einer eigenen Familie. Doch selbst als Katholikin hatte sie in Indien keine Chance, jemals wieder zu heiraten.

Über eine Heiratsanzeige hatte sie den Deutschen kennen gelernt, der ihr das Flugticket schickte. Als sie im September hier ankam, sagte er ihr jedoch, er könnte sie nicht heiraten: Sie wäre ihm zu schwarz.

Seine Ehefrau hatte ihn erst kurz zuvor verlassen, jeden Tag stritt die mit ihm und forderte Geld. Die beiden Söhne, zehn und zwölf Jahre alt, lebten weiter beim Vater. Um die musste sich Mrs. Davis nun kümmern und um den Haushalt auch. Niemand sprach es vor uns drei Mädchen laut aus, aber wir beiden älteren ahnten, dass ihre Hautfarbe nachts keine Rolle spielte. Ein Rückflugticket besaß sie nicht, genug Geld, sich eins zu kaufen, auch nicht. Der Kerl hat ihr noch nicht einmal eine Briefmarke gegeben, damit sie ihrem Bruder schreiben kann, sollte meine Mutter später jedes Mal sagen, wenn die Rede auf den Mann kam, für den Mrs. Davis in New Delhi alles aufgegeben hatte.

An ihrem ersten freien Tag hatte sie in die Messe gehen wollen. Zwei Tage später zog sie bei uns ein.

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